Herzensbedürfnis: Demenzkranke zu betreuen, sie zum Lachen zu bringen
Wolf Stegemann – Geboren 1967 in Dorsten. Examinierte Altenpflegerin (bis 2019). Einfühlsamkeit, Aufmerksamkeit, Zuvorkommenheit mit ein wenig Charme, Hilfsbereitschaft, Ausdauer und auch Humor erfordert ein Beruf, der seit geraumer Zeit in aller Munde, auch in dem der Politiker ist. Das sind „Altenbetreuer“, über die Politiker viel reden und letztlich nicht viel tun, um die Lücken zu schließen und die Gehälter an das verantwortliche Tun anzupassen. Es gibt immer mehr alte Menschen, die betreut werden müssen, vor allem die unter den Senioren, die dazu noch dement sind, entweder die „normale“ und häufiger vorkommende Altersdemenz (50-60 %), bekannt als Alzheimer-Demenz, oder eine der vielfach stärker ausgebildeten Demenz-Formen, von denen es etliche gibt. Der Begriff Demenz leitet sich ab vom lateinischen demens, d. h. unvernünftig und ohne Verstand, Denkkraft oder Besonnenheit. Anders gesagt: Nachlassen der Verstandeskraft und auch der Motorik. Dann brauchen die Menschen Hilfe und Betreuung; das die Gesundheitskassen über die Pflegegrade auch bezahlen. Manchmal ist auch Heimunterbringung angesagt.
Früher sprach man über Demenzkranke von Verkalkten
Eine von denen, die Demenz-Kranke in ihren Wohnungen jahrelang betreuten, ist die Dorstenerin Andrea Schüller, geborene Mümken. Sie hat diesen Dienst über 35 Jahre lang ausgeübt, bis sie ihn 2019 aus Krankheitsgründen aufgeben musste. Sie hat drei Kinder von 25 bis 33 Jahren und ist Elvis Presley-Fan von Kindheit an; sie ist für diesen Beruf als examinierte Altenpflegerin mit Abschluss Altentherapeutin ausgebildet. Sie war zudem die einzige Demenzkranken-Betreuerin sein, die diesen Beruf selbstständig und freiberuflich unter der Firmierung „Seniorenservice Blauer See“ am Söltener Landweg in Holsterhausen ausübte. Vorher war sie als Betreuerin für psychisch Kranke und Suchtkranke in Oberhausen tätig. Erlernt hat sie die Altenpflege am Altenheim St. Anna in Dorsten. Doch damals war das Wort Demenz auch in Altenheimen noch ziemlich unbekannt. „Wer damals Demenzerscheinungen hatte, vergesslich und sonderlich wurde, dann war er eben verkalkt. So hieß das damals!“
Neben Vergesslichkeit auch Verhaltensstörungen
Schon Sechzigjährige können erste Demenzerscheinungen haben, wenn das Kurzzeitgedächtnis Lücken aufweist, Namen von Personen vergessen werden oder man vorm Fernseher im Wohnzimmer aufsteht, um in der Küche was zu holen, und der Küche nicht mehr weiß, was. Wer kennt das nicht. In der Bundesrepublik ist mit einem Anstieg der Anzahlen der an Demenz erkrankten Personen auf voraussichtlich drei Millionen im Jahr 2050 zu rechnen. Jüngste Schätzungen (Stand: Februar 2014) gehen deutlich darüber hinaus. Eine Studie des Forsa-Instituts hat im Auftrag der DAK-Gesundheit herausgefunden, dass jeder zweite Deutsche eine Demenzerkrankung fürchtet. Besonders hoch ist der Anteil unter den über 60-Jährigen. Demenz bedeutet nicht nur das landläufig genannte Vergessen. Es geht einher mit Verhaltensstörungen wie Apathie, zielloses Umherirren, Aggressionen, Schlafstörungen, Depressionen, Angstzustände, Enthemmungen, Halluzinationen und Euphorie. Aber auch mit Vernachlässigung von Hobbys und der Körperpflege, Aufräumen der Wohnung, keine ausreichende Ernährung, Verlust des Hungergefühls und das Vergessen, die Nahrung zu kauen und hinunterzuschlucken.
Auch wenn sich vieles veränderte, Gefühle blieben
„Immer mehr demenzkranke Menschen bleiben heute im Alter zuhause“, meint Andrea Schüller, die ihre „Klienten“ täglich besuchte, mit ihnen frühstückte, ihnen zuhörte oder Halma mit ihnen spielte, mit ihnen Musik hörte wie auch zum Einkaufen fuhr, Behörden- und Arztbesuche unternahm und auch mal mit ihnen in den Gottesdienst ging oder einen kleinen Spaziergang machte. Auch wurden ihr oft und gerne Fotoalben gezeigt und die Bilder erklärt. So verbrachte Andrea Schüller bei einer Klientin oder einem Klienten manchmal bis zu sechs Stunden am Tag, meist aber zwei bis drei Stunden. „Eine Dame wollte mit mir stundenlang immer Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen.“ Andrea Schüller ärgerte das nicht. Mit Herzenswärme ging sie auf diese Art der Unterhaltung ein, so gut sie konnte. „Ältere Frauen erzählten mir, wie Apfelkuchen gebacken werden, erkannten aber nicht, dass sie gerade Apfelkuchen essen“, so Andrea Schüller. „Einfach war das alles nicht. Es gehörte viel Geduld und Verständnis dazu.“ Ihre Klienten waren zwischen 83 und 94 Jahre alt, darunter mehr Frauen als Männer. Und wenn einer ihrer Klientinnen oder Klienten starb, dann ging es Andrea Schüller trotz ihrer Professionalität zu Herzen. Und über die Professionalität hinaus empfand sie im Umgang mit ihren Klienten Zuneigung mit einer guten Portion Humor! Dann hörte sie deren Jugend- und Kriegserlebnisse zum x-ten Mal, ging auf die oft verschobenen Erinnerungen ihrer Klienten ein – und auf deren Verhalten. Wie gesagt: Mit Professionalität und Herzenswärme, was die Demenzkranken spürten. Die Betreuung entlastete auch die Angehörigen, mit denen es manchmal kleinere Probleme gab, wenn deren Töchter oder Söhne eine andere Vorstellung über die Tagesgestaltung ihrer Mütter oder Väter hatten. Doch für Andrea Schüller war es wichtig, was ihre Klienten wollten, denn die Kommunikation mit ihnen spielte sich nicht auf der vernunftorientierten Ebene ab, sondern auf der gefühlsbetonten. „Denn das Gefühl bei Demenzkranken bleibt.“
Fürs eigene Leben viel erfahren und gelernt
Andrea Schüller, aufgewachsen am Blauen See in Holsterhausen, wo sie heute noch wohnt, hatte als junges Mädchen überhaupt nicht daran gedacht, Altenbetreuerin zu werden. Sie wollte Kunst studieren. Doch ihre Eltern, ihr verstorbener Vater war Bergmann, meinten, dies sei eine brotlose Kunst und hielten sie davon ab. Über ein Schulpraktikum im Altenheim St. Anna lernte sie dann Anfang der 1980er-Jahre die Altenpflege kennen. Versorgen über den Tag hinweg, das gefiel ihr. Auf die Frage, was ihr die Arbeit mit Demenzkranken gab, antwortet sie: „Von dem, was ich meinen Klienten gab, bekam ich viel zurück. Sie waren wie Schatzkästchen, die viel wissen und erzählen und von denen man für sein eigenes Leben viel erfahren und lernen konnte!“
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