Litfaßsäulen (Essay)

Sie sind ein Stück Kulturgeschichte, von denen es 16 in Dorsten gibt

LItfaßsäule an der Gesamtschule in Wulfen-Barkenberg; Foto: Christian Gruber

Von Wolf Stegemann. – Wer durch Dorsten spaziert oder fährt, sieht da oder dort, beispielsweise an der Bushaltestelle am Lippetor oder am Orthöver Weg in Wulfen und an vielen anderen Stellen der weitläufigen Stadt, runde und mit Werbung beklebte säulenartige Gebilde, oben manchmal mit einem dachartigen Abschluss. Meist sind diese kleinen runden Türmchen in einem nicht guten Zustand, mehr abgerissen als einladend anzusehen. Das liegt aber nicht an der Säule selbst, sondern an denen, die sie werbemäßig als Werbeträger für Ankündigungen und Werbeplakate vermieten und verwalten. Doch diese Werbe-Säulen, nach ihrem Erfinder Litfaß benannt, sind Werbeträger und haben eine Geschichte, die den meisten, die daran vorbeigehen, unbekannt sein dürfte. Vielleicht noch der Name, der dann vielleicht mit einem Literfass in Zusammenhang gebracht wird und unlängst auch in der Lokalzeitung mit zwei s, dem sich dann das dritte s der Säule dranhängte, anstatt mit scharfen ß geschrieben wurde, wie es der Eigenname Litfaß erfordert

Litfaßsäulen sind auch Vermittler von Kunst und bringen der Stadt Geld

Kunstobjekt in der Gesamtschule; Foto: Gruber

Litfaßsäulen sind mittlerweile auch Kult. Ihr analoger Charme macht sie in unserer digitalen Welt zum beliebten und glaubwürdigen Medium. Die Platzierung der Säulen in Innenstädten, Außenbezirken und Ortschaften gehören zum urbanen Lifestyle, wie eine Werbeagentur schreibt und 2017 erstmals positive Leistungswerte für Litfaßsäulen veröffentlichte. Sie können aber auch Vermittler von Kultur und Kunst sein. Im Innern der Gesamtschule Wulfen steht eine Litfaßsäule, die von Schülern und Schülerinnen des Kurses „Bildende Kunst“ als Kunstwerk neu gestaltet wurde, denn, so ist in einer Presseerklärung der Schule zu lesen, die Litfaßsäule verschönere permanent die Gesamtschule und mache den Schulalltag bunt. So bekomme die Litfaßsäule nun fast jeden Tag ein neues Kleid und Schüler hätten einen neuen Ort, den sie in ihren Pausen neu gestalten können. Litfaßsäulen sind in Dorsten über das gesamte Stadtbild verstreut. Wie viele es sind, ist hier nicht bekannt. Vielleicht ruft uns der eine oder andere Leser an, der eine Litfaßsäule entdeckt, so dass wir dann peu à peu zu einer Zahl kommen. Auch im Foyer der Volksbank am Südwall dient eine als „schwarzes Brett“.
Die Stadtverwaltung teilte im Mai 2021 mit, für die Außenwerbung in den Straßen der Stadt ein Konzept zu erstellen. Zur Außenwerbung gehören Großplakate an Häuserwänden, Plakatgestellte  und auch die 37 Litfaßsäulen in der Stadt. Hintergrund seien finanzielle und stadtplanerische Aspekte. Zurzeit hat die Stadt einen Vertrag mit dem Düsseldorfer Unternehmen Moplak. Damit ist die Firma berechtigt, Werbetafeln und Plakate nicht nur an Bushaltestellen und auf Plakatwänden, sondern auch auf Litfaßsäulen zu betreiben und zu vermarkten. Dafür bekommt die Stadt ein jährliches Entgelt. Künftig soll sich die Außenwerbung nach dem Willen der Stadt optisch besser ins Umfeld des jeweiligen Standorts anpassen.

In Nürnberg eine neue Generation: Die Litfaß-Toilettensäulen

Nürnberg: Liltfaßsäule als Toilette

Heute gibt es noch 67.000 Litfaßsäulen in ganz Deutschland, wovon etwa 50.000 im Sinne des Erfinders zur Werbung für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden. In Dorsten gibt es 16 Litfaßsäulen und 114 Großwerbeflächen. Die heutige Nutzung der „ewig modernen Werbeklassiker“ ist umfassender als Ernst Litfaß damals konzipierte. In den „Nürnberger Nachrichten“ ist zu lesen, dass Männer, die einem dringenden Bedürfnis nachgehen müssen, sich in eigens konstruierten Litfaßsäulen Erleichterung verschaffen können: „Die ,nette Toilette’, die es übrigens auch in Dorsten gibt,  funktioniert nicht so gut, und das schafft Wildpinkler. Nun sollen Litfaßsäulen Abhilfe schaffen. Aber keine gewöhnlichen, sondern solche mit integrierten Toiletten. Die hätten den Vorteil, dass man sie problemlos in der Stadt aufstellen kann und außen sogar noch Platz für Werbung ist.“ In Salzburg bekam die Künstlerin Elisabeth Schmirl mit ihrem Litfaßsäulen-Projekt unter 36 Teilnehmern den 1. Preis des Wettbewerbs „Kunst-Litfaßsäulen“. Sie hat eine Litfaßsäule in der Stadt in eine reflektierende Spiegeloberfläche zum „Medium im Außenraum“ verwandelt. In der Werbebranche werden Taxis mit Werbung auf der Karosserie als „mobile Litfaßsäulen“ bezeichnet – natürlich nicht im Sinne der Nürnberger. Kunstvereine und Kunstmessen beziehen sie als Kunstobjekte in ihre Projekte ein. Heute gibt es sie in Beton, Fiberglas, Holz und Plastik, beleuchtet und zerlegbar und aus Pappe zum Selbstbauen. Litfaßsäulen kosten zwischen 273 und 950 Euro.

Erste „Annoncier-Säule“ des Ernst Litfaß 1855 in Berlin aufgestellt

Keinem zweiten Deutschen wurden je so viele „Denkmäler“ gesetzt wie Ernst Litfaß. Eine Litfaßsäule in Bronze erinnert seit 2006 in der Berliner Münzstraße an der Stelle an ihn, wo einst seine erste „Annonciersäule“ stand. Und die Post hat bereits dreimal eine ihm gewidmete Briefmarke herausgegeben.  Wer war dieser Ernst Litfaß? Mit vollem Namen hieß er Ernst Theodor Amandus Litfaß, wurde 1816 in Berlin geboren  und starb 1874 in Wiesbaden. Er war Druckereibesitzer, Verleger, Theatergründer, versuchte sich in Schauspielerei, war ab 1845 auch Buchhändler und Herausgeber des „Declamatoriums“ sowie eigener Flugschriften und Zeitungen („Berliner Curier“, „Berliner Tagestelegraph“ u. a.). In seinen Zeitungen informierte er das Berliner Publikum über Theater- und Gastronomieangebote und stieg so in die Werbebranche ein. Als Buchdrucker reformierte er das Druckergeschäft, führte Schnellpressen und auch den Buntdruck ein und druckte als erster in Deutschland Riesenplakate im Format von 6 mal 9 Meter. Dadurch wurde er auch international populär. 1863 wurde er zum Königlichen Hof-Buchdrucker ernannt und erhielt vom König etliche andere Titel, da er auch nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ wohltätig in Erscheinung trat. Noch zu Lebzeiten wurde sein Leben und Werk in einer Festschrift festgehalten. In Berlin erhielt er ein Ehrengrab.

Ihn störte das wilde Plakatieren an Hauswänden  und Mauern

Ernst Amandus Litfaß, Erfinder der Säulen

Zu der nach ihm benannten Säule kam er, weil ihn das wilde Plakatieren von Bekanntmachungen und Theatervorstellung an Mauern und Häuserwänden störte – sagt man. Deshalb beantragte er das Aufstellen von „Annoncier-Säulen“, was ihm der Polizeipräsident 1854 genehmigte: „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen.“ Ihm wurde also die Aufstellung von zunächst 150 „Annoncier-Säulen“ gestattet. Am 15. April 1855 wurde die erste Säule in Berlin-Mitte errichtet und innerhalb eines halben Jahres 100 weitere. Als weitere Werbeträger wurde ihm gestattet, Brunnen mit Holz zu umhüllen, um darauf zu plakatieren. Zum festlichen Anlass der ersten öffentlichen Einweihung einer Litfaßsäule wurde eine eigens komponierte Annoncier-Polka gespielt. Ernst Litfaß erkannte früh das kommende Geschäft der Reklame und sicherte sich das alleinige Recht zur Plakatierung für Berlin, wodurch er zu großem Reichtum kam. Im Berliner Volksmund wurde Litfaß noch zu Lebzeiten in Anspielung an die antiken Tempel „Säulenheiliger“ genannt. Von Berlin aus rollte Ernst Litfaß seine Reklame-Säulen durch das deutsche Reich. Es hat damals über 100.000 gegeben. Heute sind es noch rund 67.000, die noch oder schon wieder herumstehen.


Quellen: Wikipedia, Online-Enzyklopädie (Aufruf 2018). – Wulfen-Wiki (Aufruf 2018). –„Salzburger Nachrichten“ vom 1,. Aug, 2017. – „Die Zeit“ vom 18. Mai 1979. – „Nürnberger Nachrichten“ vom 26. Febr. 2015.  

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