Städt. Haushalt I

Überschuldung - Dorsten ist auf Jahre hinaus in hohem Maße überschuldet

500-Haushalt 0_420f_wnDer städtische Haushalt teilte sich bis 2008 auf in einen Verwaltungs- (298,7 Mio. DM), Vermögens- (55,3 Mio. DM) und Investitionshaushalt. Danach wurde das System des „Neuen Kommunalen Finanzmanagements“ (siehe dort) eingeführt. Der Haushalt wird vom Kämmerer jeweils für das kommende Jahr aufgestellt und dem Rat zur Genehmigung vorgelegt. Inzwischen halten sich Rat und Kämmerei nicht mehr an dieses Gebot. Der Haushalt wird meist erst im laufenden Jahr verabschiedet. Anschließend bedarf er, um rechtswirksam zu werden, der Genehmigung durch die Bezirksregierung, die das Werk ablehnen oder mit Auflagen versehen kann. Seit Jahren ist der städtische Haushalt nicht ausgeglichen. Erst wieder 2016 sollte er ausgeglichen sein. Trotz aller Sparanstrengungen sind die Ausgaben stets höher gewesen als die Einnahmen. Schon vor Jahren hat die Stadt ein mittelfristiges Sanierungskonzept entwickelt, doch das Gesamtdefizit türmte sich mittlerweile auf einen dreistelligen Millionenbetrag: Ende 2009 betrug der kumulierte Fehlbetrag 126 Millionen Euro. Die kurzfristigen Bankverbindlichkeiten lagen in gleicher Höhe. Im gleichen Jahr stellte die Stadt vom kameralistischen System auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) um. Der Absturz in die Überschuldung der Stadt war nach Einschätzung der Verwaltung aus eigener Kraft ab 2010 nicht mehr zu stoppen. Eine der Ursachen ist darin zu sehen, dass Bund und Länder den Kommunen Zahlungsverpflichtungen auferlegten, ohne ihnen die dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Seit 1993 wurden Dorsten über 131 Millionen Euro zusätzliche Ausgaben aufgebürdet, ohne dass die Stadt höhere Schlüsselzuweisungen vom Land NRW erhielt. Dies entspricht etwa der Höhe des aufgelaufenen Haushaltsdefizits. Aufgrund der von der Bundesregierung angekündigten Steuerreform werden zusätzliche Einnahmeausfälle bei den Kommunen erwartet.

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2023: Defizit halbiert – ohne Steuererhöhung geht es wohl nicht. Binnen weniger Wochen hat sich das Minus in der städtischen Kasse der Stadt Dorsten mehr als halbiert. Dennoch wird es eine Steuererhebung für die Bürger geben. Denn Steuererhöhung sind nach Meinung der Ratsfraktionen in Dorsten das letzte und derzeit wohl einzige Mittel, um den städtischen Haushalt auszugleichen. Für 2023 werden die Politiker um eine derart unbeliebte Entscheidung aber wohl nicht herumzukommen. Und das, obwohl das Defizit in den letzten Wochen schon beträchtlich reduziert werden konnte. Auf knapp sieben Millionen Euro hatte der Stadtkämmerer den Fehlbetrag im Oktober 2022 taxiert, aber schon damals darauf hingewiesen, dass noch wichtige Orientierungsdaten des Landes fehlten. Als sie Wochen später vorlagen, machte sich lediglich die reduzierte Kreisumlage in Höhe von 1,1 Millionen bemerkbar. Dass das Minus der Stadt jetzt „nur noch“ drei Millionen Euro beträgt, hat auch andere Gründe. Der Kämmerer hat zum Beispiel schon mal 1,5 Millionen Euro aus der Ausgleichsrücklage einkalkuliert und die Zahlen anderer Ausgaben reduziert. Doch reichen wird da nicht. Die Konsequenz, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird: Erhöhung der Grundsteuer B. Was die Sache perspektivisch nicht besser macht: Auch für die Jahre 2024 bis 2026 rechnete der Stadtkämmerei schon 2022 mit einem Minus von jeweils drei Millionen Euro -alle Jahre wieder!

2022 erstmals seit 1992 den Haushalt ohne Genehmigung der Finanzaufsicht verabschiedet. Selten waren sich die mittlerweile sechs Fraktionen so einig. Bei nur einer  Enthaltung sind der Haushalt für das Jahr 2022 und der Stellenplan Anfang Dezember 2021 verabschiedet worden. Zum ersten Mal seit 1992 musste der städtische Haushalt nicht mehr von der Finanzaufsicht der Bezirksregierung genehmigt werden. Dorsten hat nach 30 Jahren erstmals wieder mehr Einnahmen als Ausgaben. Der rechnerische Überschuss beträgt im nächsten Jahr etwa 380.000 Euro. Nicht eingerechnet sind allerdings die „Corona-Schulden“ von fast 20 Millionen Euro. Sie kann die Stadt entweder 2024 komplett zurückzahlen oder über 50 Jahre „abstottern“. Bürgermeister und CDU-Mehrheit sind für erstgenannten Weg, die Grünen wohl auch, die SPD derzeit eher nicht. Alle Haushaltsreden sind auf der Homepage der Stadt Dorsten (www.dorsten.de) nachzulesen. Fraktions- und parteiübergreifend wurde beschlossen, je 50.000 Euro zusätzlich für den Klimaschutz und für Digitalisierung in der Bildung zur Verfügung zu stellen. Außerdem werden zu erwartende Mehreinnahmen aus dem Bereich Windenenergie jeweils einem Drittel für die Bereiche Umwelt und Bildung eingeplant. Das verbleibende Drittel soll für die Tilgung von Liquiditätskrediten oder zur Reduzierung des Corona-bedingten Finanzschadens eingesetzt werden.

Kommentar von Stefan Diebäcker in der DZ vom 4. Dezember 2021: Wenn sie die eigene Leistung würdigen, greifen Politiker gerne tief in die Vokabel-Kiste. Der städtische Etat für 2022 sei geradezu „historisch“, sagen sie. Andere Dinge sind es aber auch. Zum ersten Mal nach 30 Jahren kann die Stadt Dorsten wieder über ihr eigenes Geld verfügen. Sie muss den Haushalt niemandem mehr zur Genehmigung vorlegen, sie hat wieder „Handlungsspielräume“, wie es so schön heißt. Ob dies ein Ereignis von historischer Dimension ist, wie einige Politiker und auch der Bürgermeister in dieser Woche versicherten, darf als Außenstehender ungeachtet des erfreulichen Umstandes durchaus hinterfragt werden. Denn für die Bürger ändert sich merklich erst mal wenig. Es werden keine Steuern gesenkt, deren Erhöhung vor einigen Jahren vielleicht auch „historischen“ Charakter hatte. Es werden, selbst wenn man es könnte, nicht auf einen Schlag die 90 freien Stellen im Rathaus wieder besetzt, um zum Beispiel Genehmigungsverfahren schneller abzuschließen oder Anträge flotter zu bearbeiten. Die Arbeitsbelastung in manchen Abteilungen ist sicherlich auch als „historisch“ zu bezeichnen. Und ja: Wenn die Zinsen nicht so historisch niedrig wären, die Gewerbesteuern nicht so fleißig sprudeln und viele Menschen in dieser Stadt in einem historischen Kraftakt nicht so viel ehrenamtliches Engagement beweisen würden, würde eines Tages wahrscheinlich in den Geschichtsbüchern stehen: Dorstens historischer Schuldenberg wächst wieder.

Doppelhaushalt 2020 und 2021. Die nächste Kommunalwahl findet vermutlich im September 2020 statt – zu einem Zeitpunkt also, wo der Haushalt normalerweise eingebracht, aber noch nicht verabschiedet werden kann, weil nicht alle Rahmendaten vorliegen. Das müsste dann der neugewählte Rat im November machen. Um dies organisatorisch zu vereinfachen, soll im Jahr 2019 für zwei Jahre (2020 und 2021) ein Doppelhaushalt verabschiedet werden. Im Frühjahr 2021 müsste dann der neue Rat einen Nachtragshaushalt beschließen. In den Haushalten 2020 und 2021 werden jeweils fünf bis sechs Millionen Euro fehlen. Das stellt für die Verwaltung ein beträchtliches Problem dar, das die Bürger zu spüren bekommen. Dies teilte der Bürgermeister Stockhoff am 12. August 2019 in einer Rund-Mail allen städtischen Mitarbeitern und Ratspolitikern mit und sie aufgefordert, „noch stärker als bisher alle Aufwendungen und Investitionen zu hinterfragen.“ Geringere Steuereinnahmen und Schlüsselzuweisungen, höhere Personal- und Versorgungsaufwendungen, höhere Jugendhilfeaufwendungen, höhere Aufwendungen für Kindertagesstätten, weil das Land die Standards erhöht – das sind laut Bürgermeister Stockhoff die wesentlichen Gründe für das Millionenloch.

Wer hat Schuld am Schuldenberg? Eine Momentaufnahme Juni 2020. Mehr als 1,5 Milliarden Euro beträgt der Schuldenstand der Städte im Kreis Recklinghausen bei den Kassenkrediten, dem kommunalen Dispo. Um nicht noch mehr Kredite aufnehmen zu müssen, haben die vestischen Kommunen nicht nur die Grund- und Gewerbesteuern massiv erhöht, sondern auch ein hartes Sparprogramm hinter sich gebracht. Es hat Zeiten gegeben – der Bergbau war da noch in Hochform –, in denen auch im Kreis Recklinghausen noch Bürgerhäuser und Schwimmbäder gebaut wurden; Luxus-Investitionen aus dem letzten Jahrhundert, von denen man, mit dem Wissen von heute, besser die Finger gelassen hätte. Seit der Jahrhundertwende hat sich die Situation sehr verschärft.
Im Jahr 2008 entfielen auf jeden Bürger im Kreis Recklinghausen 1665 Euro kommunale Schulden (Kassenkredite). Zehn Jahre später waren die Pro-Kopf-Verbindlichkeiten bereits auf 2542 Euro angewachsen – ein Plus von 53 Prozent. Der Vergleich mit 2008 ist deshalb interessant, weil der Kreis Recklinghausen in jenem Jahr – mit Unterstützung der Städte – eine Verfassungsklage gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) des Landes NRW eingereicht hatte. In einem 350 Seiten umfassenden Gutachten hatte der Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Martin Junkernheinrich versucht nachzuweisen, dass es die Landesregierungen über Legislaturperioden hinweg versäumt hatten, die tatsächlichen Belastungen der Städte aus Sozialausgaben, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel im kommunalen Finanzausgleich angemessen zu berücksichtigen. Die Klage wurde 2011 vom NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster abgewiesen.

Haushalt 2019. Bei der Einbringung des städtischen Haushalts für 2019 sicherte der Stadtkämmerer dem Rat der Stadt im September 2018 zu, dass die Stadt bis 2022 auch keine neue Sparrunde einläuten werde. Der Haushalt konnte nur deshalb ausgeglichen werden, weil sich die Kämmerei der hohen Einnahmen und Reserven des Entsorgungsbetriebes (Müllabfuhr u. ä.) bedient. Doch die nächste Haushaltskrise steht bereits fest. Die Stadt hat noch 270 Millionen Euro Schulden und einen Sanierungsbedarf an Gebäuden, Straßen und Brücken von 200 Millionen Euro (Stand: Ende 2018). Jedes Jahr, so Bürgermeister Stockhoff, arbeite die Stadt daran, diese Summen jeweils um fünf Prozent zu verringern. Die „Dorstener Zeitung“ zitierte ihn mit der Aussage: „Mein Ziel ist es, in 20 Jahren sagen zu können: Wir sind de facto schuldenfrei. Und: Wir haben gute Schulen, gute Kindergärten, gute Sportanlagen und städtische Gebäude sowie eine gute verkehrliche Infrastruktur.“ – Na ja, fragt man sich angesichts seines Optimismus, in 20 Jahren immer noch Bürgermeister zu sein, ob er bis dahin vielleicht auf Lebenszeit gewählt ist? (Quelle: DZ vom 20. Sept. 2018).
Die Bezirksregierung Münster hat den Haushaltssanierungsplan 2019 der Stadt Dorsten genehmigt. Sie kann ihren Haushalt jetzt veröffentlichen und verfügt für ein weiteres Jahr über die eigenständige Handlungsfähigkeit. Der Haushalt der Stadt Dorsten weist sowohl für das Haushaltsjahr 2019 als auch für die Jahre der mittelfristigen Planung bis 2022 ausgeglichene Jahresergebnisse aus. Im Jahr 2019 stehen den Erträgen von 226,1 Millionen Euro Aufwendungen von 225,7 Millionen Euro gegenüber. Der geplante Jahresüberschuss beträgt somit 393.000 Euro.

Haushalt 2018. Trotz Schulden in zigfacher Millionenhöhe legt der Stadtkämmerer für 2018 einen Haushaltsentwurf vor, der einen Überschuss von 356.000 Euro aufweist, der vom Rat genehmigt wurde. Höheres Gewerbesteueraufkommen, Gewinnausschüttung des Entsorgungsbetriebs, sinkende Umlagebeträge bewirkten den Überschuss. Damit hat die Stadt „einmal mehr knapp die Kurve gekriegt, einen genehmigungsfähigen Haushalt 2018 vorzulegen“ (DZ). Als darbende Kommune, die vom Stärkungspakt profitiert, ist sie verpflichtet, strikt zu sparen, um spätestens 2021 einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren zu können. Mit einem Überschuss von 356.000 Euro, der sich aber bei unvorhersehbaren Ausgaben im Jahr 2018 ganz schnell verflüchtigen kann. Die Zwischenbilanz des städtischen Haushalts für 2018 weist ein Plus von 3,7 Millionen Euro aus. In der Stadtkämmerei macht man sich Gedanken darüber, wie dieses Millionenplus eingesetzt werden kann: Aufbau von Eigenkapital oder Schuldenabbau.

Haushalt 2017. Ende Dezember 2016 brachte der Stadtkämmerei den Haushalt für 2017 mit einem Überschuss von 240.000 Euro ein, dem ohne Gegenstimme zugestimmt wurde. Das Ertragsergebnis weist 211.596.790 Euro aus, die Einnahmen betragen 211.345,512 Euro. Im Februar soll der Etat verabschiedet werden. Nach wie vor ist die Haushaltslage der Stadt prekär. Im letzten Quartal 2016 gab es eine Auseinandersetzung mit dem Landschaftsverband, der die Umlage auf die Kreise und diese an die Städte erhöhte. Die „Dorstener Zeitung“ kommentierte den Haushalthalt als ein „fragiles Zahlenwerk“ des Kämmerers. Die aufstellten Berechnungen und Prognosen können jederzeit durch neue Verordnungen und Gesetze einstürzen, denn Rücklagen hat die Verwaltung nicht aufgebaut und weitere Einsparungen sind kaum noch möglich, so dass lt. Kämmerer über weitere Abgaben- und Steuererhöhungen in Dorsten 2017 geredet werden müsste. Siehe auch: LWL-Umlageerhöhung.

Haushaltssanierungsplan 2017 Dorsten wird fortgeschrieben. Die Bezirksregierung Münster hat die Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans für das Haushaltsjahr 2017 der Stadt Dorsten genehmigt. Somit kann der Haushalt der Stadt veröffentlicht werden und in Kraft treten. Die Stadt Dorsten gehört wegen ihrer schwierigen Haushaltssituation zu den Pflichtteilnehmern am Stärkungspakt Stadtfinanzen im Regierungsbezirk Münster. Mit der zeitlich begrenzten finanziellen Unterstützung soll erreicht werden, den Haushalt dauerhaft auszugleichen. Im Gegenzug muss die Kommune die dauerhafte Haushaltskonsolidierung spätestens im Jahr 2021 ohne Hilfe darstellen. Der vorgelegte Haushalt der Stadt weist sowohl für das Jahr 2017 als auch für die Planungsjahre bis 2021 entsprechend ausgeglichene Haushalte aus. Damit sind die Voraussetzungen für eine Genehmigung der Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans 2017 erfüllt. Im Haushalt 2017 und in den Planungen für die Folgejahre wurde auch weiterer Schuldenabbau berücksichtigt: Sechs bis sieben Millionen Euro will die Stadt bis 2021 jährlich tilgen. Seit dem Höchststand von 331 Millionen Euro im Jahr 2012 wurden gut 30 Millionen Euro Schulden abgebaut, in diesem Jahr wird Dorsten wieder unter die 300-Mio-Marke sinken – und damit sinkt auch das finanzielle Risiko durch steigende Zinsen. Aus der Stadtkämmerei war Mitte 2018 zu hören: 12,6 Millionen Euro hat Dorsten im Jahr 2017 von der Schuldenliste streichen können.  Im zweiten Halbjahr 2017 wurden auch keine Kassenkredite benötigt. Neue Investitionskredite seien derzeit nicht geplant. Die politische Mehrheit trage diesen Kurs des Kämmerers mit.

Haushalt 2016. Die Finanzaufsicht der Bezirksregierung Münster genehmigte im April 2016 den Haushalt der Stadt für 2016. Erstmals seit Anfang der 1990er-Jahre war der Haushalt ausgeglichen. Das Aufkommen an Gewerbesteuer mit 21,5 Millionen Euro erreichte eine Höhe, die zuletzt Ende der 1980er Jahre erzielt wurde. Der begonnene Schuldenabbau wurde fortgesetzt: Nach 1,5 Millionen (2013), 5 Millionen (2014) und 15 Millionen (2015) sollen im laufenden Jahr erneut mindestens 15 Millionen Euro Kredite getilgt werden. Die Landesbeihilfen im Stärkungspakt (7,2 Millionen Euro pro Jahr) sollen ab sofort und bis 2021 auf Null abgeschmolzen und weitere Schulden abgebaut werden. Der Schulden-Höchststand wurde 2012 mit 331 Millionen Euro erreicht, 2016 waren es noch 309 Millionen. Allerdings sind in diesen Zahlen die Wechselkursrisiken durch Kredite in Schweizer Franken noch nicht berücksichtigt. Gegenwärtig zahlt die Stadt neun Millionen Euro Zinsen für ihre Schulden. Jedes Prozent Zinssteigerung würde beim aktuellen Stand mit drei Millionen Euro zu Buche schlagen. Die Steuereinnahmen übertrafen die Erwartungen. 2015 hatte Dorsten 76 Millionen Euro kalkuliert, tatsächlich aber 80 Millionen Euro eingenommen. Allein die Gewerbesteuer stieg von erhofften 19 auf 21,5 Millionen Euro.

Der Haushalt für 2015 war mit dem Sanierungsplan bis 2021 fertig ausgearbeitet, als in einer Bürgermeister-Konferenz der Kreisstädte im September 2014 dem Dorstener Bürgermeister Tobias Stockhoff die Erkenntnis kam, dass der aufgestellte Haushaltsplan nicht genehmigungsfähig sei. Denn ein neues Millionen-Finanzloch wird sich für die Stadt spätestens in den Jahren 2019 bis 2021 auftun. Die Gründe wurden vom Stadtkämmerer mit höherer Umlage für den Landschaftverband Westfalen-Lippe über den Kreis Recklinghausen angegeben. Bürger werden also weiterhin durch Erhöhung von Abgaben und Sparmaßnahmen zur Stadtkasse gebeten. Ende November verabschiedete der Stadtrat den Haushalt mit den Stimmen der CDU und der Grünen gegen die Stimmen von UWG und SPD. Er wies ein Defizit von 2,4 Millionen Euro aus. Die Erträge lagen bei 15,9 Millionen Euro, die Aufwendungen aber bei 18,3 MIllionen. Die Ausgleichsrücklagen schrumpfen von 5,76 Millionen Euro auf 1,52 Millionen. Erwartet wurden Steuereinnahmen in Höhe von 8,83 Millionen Euro und Schlüsselzuweisungen in Höhe von 730.000 Euro. Die Umlage für den Kreis stieg kontinuierlich und war 2015 mit 5,74 Millionen Euro angegeben; das waren im Vergleich zum Vorjahr 500.000 Euro mehr. Dazu schrieb Stefan Diebäcker in der „Dorstener Zeitung“ am 27. November 2014 (Auszug):

„Kämmerer Hubert Große-Ruiken hat es wieder mal geschafft, die Zahlen so zu drehen und zu wenden, dass die Stadt ab 2016 angeblich schwarze Zahlen schreibt. So sieht es der Stärkungspakt ja vor. Kein Vorwurf, der Mann macht seinen Job. Wer will schon eine Haushaltssperre riskieren? Im Land der Schönrechner zählt eben nur die Bilanz…“

Im August 2015 genehmigte die Bezirksregierung Münster den Dorstener Haushalt. Danach konnten etliche geplante Maßnahmen realisiert werden wie Zuschussauszahlungen an Vereine, Verbände und Institutionen, beschlossene Baumaßnahmen oder Abrisse nicht mehr benötigter Gebäude, Besetzung notwendiger Dienststellen (Aussendienst im Ordnungsamt), Ersetzung von defekten mobilen Geschwindigkeitstafeln. Der Haushalt schloss mit einem Minus von 3,2 Millionen Euro ab. Er wurde vom Stadtkämmerer deshalb so spät beschlossen, weil als Grundlage die Jahresabschlüsse 2011 und 2012 noch fehlten. Der Jahresabschluss 2013 wurtde im September 2015 dem Rat vorgelegt. Der genehmigte im November 2015 den Haushalt für 2016 bei zwei Gegenstimmen der ehemaligen Vertreter der Linken-Fraktion.

Haushaltssanierungsplan 2014 bis 2021. Das Defizit im Stadthaushalt für 2014 hatte sich gegenüber dem Vorjahr fast halbiert. Obwohl die Haushaltssanierung fast planmäßig verlieft, warnte Kämmerer Hubert Große-Ruiken vor erheblichen Risiken in der mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2021. Bis dahin fließen Landeshilfen und die Stadt muss in ihrer mittelfristigen Finanzplanung eine schwarze Null darstellen, um schon für den Haushaltsplan im kommenden Jahr eine Genehmigung zu bekommen. Das gelang aber nicht, weil der Kämmerer durch eine Steigerung der Kreisumlage für 2021 von einem Minus in Höhe von rund 750.000 Euro ausging. Bei der Umsetzung des Haushaltssanierungspakets mit über 200 Punkten war die Stadt schon im ersten Jahr weit vorangekommen. Etwa 87 Prozent der Zielsumme waren erreicht. Deutlich wurde das an den Eckdaten des Haushaltsentwurfs. Er wies für 2014 noch ein Minus von rund 14,5 Millionen Euro aus. Für das Jahr 2013 waren es noch 27 Millionen Euro. Die Schere schlosst sich durch die Aufstockung der Konsolidierungshilfe des Landes auf 7,1 Millionen Euro pro Jahr sowie durch Einsparungen und Erhöhung der Abgaben für die Bürger, etwa der Grundsteuer. Zusätzliche Risiken für den Haushalt blieben: Steigende Personalkosten durch Tarifsteigerung für die städtischen Mitarbeiter, der seit Jahren steigende Finanzbedarf bei der Jugendhilfe, die Umlagen für die Landschaftsverbände – größter Posten waren hier die Eingliederungshilfen und Kreditzinsen.

Land legt 7,2 Millionen Euro für Dorsten „auf Eis“. Im Juli 2014 wurden die Stärkungspakt-Zuwendungen des Landes vorerst gestoppt, weil die Stadt Dorsten es jahrelang versäumt hatte, die jährlichen Rechnungsabschlüsse der Jahre 2009 bis 2012 endlich aufzustellen, die dem Land bis jeweils Oktober des darauffolgenden Jahres vorgelegt werden müssen. Der Kämmerer führte das Fehlen nötiger Fachkräfte in der Kämmerei an, die sich mit dem vor Jahren umgestellten Buchungssystems auskennen würden. Nach etlichen Mahnungen legte das Land 7,2 Millionen Euro vorerst auf Eis.

Fehlbedarf in zweistelliger Millionenhöhe. Der Haushalt 2013 wies einen Gesamtfehlbedarf von 12 Millionen Euro auf. Einnahmen in Höhe von 184 Millionen Euro standen Ausgaben in Höhe von 192 Millionen Euro gegenüber.
Nach den Berechnungen des Stadtkämmerers sollte es ab 2013 aufwärts gehen. Dazu sollten auch die Steuererhöhungen beitragen, die der Rat Ende 2012 beschlossen hatte. Ab dem 1. Januar 1913 wurde die Grundsteuer A auf 450 Punkte festgesetzt, die Grundsteuer B stieg auf 780 Punkte. Die Gewerbesteuer lag bei 495 Punkten. Eine nochmalige Anhebung dieser Steuersätze sollte 2014 nur dann erfolgen, wenn die finanzielle Situation der Stadt dies erforderte. Ende 2012 erreichte die Stadt die schlechte Nachricht, dass sie unverzüglich 6,7 Millionen Euro der in den Jahren 2008 bis 2012 von der Ruhrgas zu viel voraus gezahlter Gewerbesteuern zurückerstatten musste. Das Geld hatte der Kämmerer bereits eingenommen und ausgegeben ohne sich durch Rücklagen auf die Möglichkeit der zu erwartenden Rückerstattung einzustellen.

Etat 2013 wies ein Defizit in Höhe von 14,5 Millionen Euro auf. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Rat Ende Februar 2013 den für dieses Jahr aktuellen Haushalt, der erneut ein Defizit von rund 14,5 Millionen Euro aufweist. Für das Zahlenwerk, das ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Sanierungsziel im Jahr 2021 sein soll, stimmten geschlossen die CDU, SPD, Grünen, FDP und die Soziale Fraktion. Die Gegenstimmen kamen von der WIR-Fraktion und zwei Einzelmitgliedern. Obgleich das Defizit sehr hoch ist, erfüllen Etat und der Haushalts-Sanierungsplan die Genehmigungs-Kriterien des Landes. Denn nach der Vorausberechnung kann sowohl im Jahr 2016 (mit Konsolidierungshilfe des Landes) und im Jahr 2021 (dann ohne Konsolidierungshilfe) ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden. Der Ergebnisplan weist Erträge in Höhe von rund 183 Millionen Euro auf, denen Aufwendungen in Höhe von 197 Millionen Euro gegenüber stehen. Die Grundsteuer A wird mit 450 Punkten festgesetzt, die Grundsteuer B mit 780 Punkten. Die Gewerbesteuer liegt bei 495 Punkten. Das Kreditvolumen, das die Finanzaufsicht für erforderliche Investitionen gestattet hat, umfasst 12,44 Millionen Euro.

„NRW-Stärkungspakt Stadtfinanzen“. Die damalige rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen hatte ein weiteres zentrales Gesetz durchbringen können. Mit den Stimmen der FDP beschloss der NRW-Landtag Anfang Dezember 2011 den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, der bis zum Jahre 2020 ein Gesamtvolumen von 5,8 Milliarden Euro hat. Mit der Summe sollen Not leidende Kommunen in Nordrhein-Westfalen unterstützt werden. In einer ersten Stufe wurden noch 2011 zunächst 34 stark überschuldete Kommunen, darunter Dorsten, mit insgesamt 350 Millionen Euro unterstützt. Das Kassenloch dieser 34 Städte zusammen betrug aber nicht 610 Millionen, wie das Land annahm, sondern 1,4 Milliarden, hatten Kämmerer betroffener Städte ausgerechnet. An dieser Summe ist die Dorstener Stadtkasse mit gut zwei Prozent beteiligt, aus den Beihilfen erhielt sie deshalb nur 0,9 Prozent. Gegen den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ und der damit verbundenen harten Konsolidierungsmaßnahmen der NRW-Landesregierung formierte sich im Februar 2012 Widerstand in der der SPD der Emscher-Lippe-Region, der von der SPD-Fraktion im Marler Stadtrat angeführt wurde. Wegen der „haushälterischer Hoffnungslosigkeit“ und der heftigen Einschnitte bei den kulturellen und sozialen Leistungen und weitere Belastungen der Bürger müsse das Stärkungspakt-Gesetz nachgebessert werden. Eine Konferenz der Pleitestädte 2011 in Dorsten hatte deutlich gemacht, dass sich die Gemeinden nicht aus eigener Kraft aus der Schuldenfalle befreien können. Dorsten besitzt kein nennenswertes Vermögen mehr, allenfalls eine Beteiligung von 41 Prozent an der Dorstener Wohnungsgesellschaft (DWG) mit rund 800 Wohnungen. Viele dieser Wohnungen unterliegen der Mietpreisbindung.
Eine Neuberechnung der Landesbeihilfe im Stärkungspakt Stadtfinanzen brachte Dorsten Anfang Dezember 2012 eine Mehrzuweisung in Höhe von 4,1 Millionen Euro. Somit beteiligt sich das Land an der Schließung der Haushaltslücke zwischen Einnahmen und Ausgaben (im Schnitt 22 Millionen Euro) in den Jahren 2013 bis 2016 nun mit jeweils 7,2 statt bisher nur 3,1 Millionen Euro. Grund für die Mehrzuweisung waren offensichtliche Falschberechnungen auf Grundlage fehlerhafter Statistiken. Auffällig ist, dass alle zehn Städte im Kreis deutlich mehr Beihilfe bekommen. Relativer Spitzenreiter ist Oer-Erkenschwick mit einem Plus von 370 Prozent.

Haushaltssanierungsplan 2012 bis 2021 – Abgaben und Gebühren steigen. Bis 2016 muss Dorsten jährlich 5 Millionen Euro einsparen, was sich auf 30 Millionen kulminiert. Ende Juni 2012 verabschiedete der Stadtrat mit 45 Stimmen (vier Nein-Stimmen) den Haushalt für 2012 mit einem erneuten Defizit von rund 24,2 Mio. Euro sowie den Haushaltssanierungsplan 2012 bis 2021. Letzteren mit der Maßgabe, dass eine einzurichtende Kommission bis Ende 2012 die endgültigen Vorschläge einige der Einsparungen und Erhöhungen von Steuern und Abgaben erarbeitet, um einen genehmigungsfähigen Haushaltssanierungsplan sicherzustellen. Unabhängig davon beschloss der Rat Ende Juni die Erhöhung der Grundsteuer A ab 2013 auf 470 Prozent, die Grundsteuer B auf 825 Prozent und die Gewerbesteuer auf 500 Prozent. Im Juli 2012 flatterten bereits die städtischen Grundsteuerbescheide mit rückwirkender Erhöhung von 500 auf 600 Prozent ins Haus, was den Stadtsäckel je 100 Punkte mit 2,2 Millionen Euro füllt.
Die Hundesteuer wurde von 96 auf 108 Euro erhöht. Somit verzeichnet die Stadt eine Haushaltsverbesserung von rund 65.460 Euro (insgesamt 601.600 Euro). Die Stadtverwaltung rechnet mit einer weiteren Verbesserung, wenn nach Kontrollen die bislang nicht angemeldeten geschätzten 500 Hunde versteuert werden. Bei der Besteuerung von Geldspielautomaten wird ab 2013 die Vergnügungssteuer um 2 auf 14 Prozent erhöht, was eine Mehreinnahme von rund 95.000 Euro bringt. – Für Dorsten ist die Akzeptanz des Sanierungspakets (Stärkungspakt) durch die Bezirksregierung Münster wichtig. Denn nur mit dem Einverständnis aus Münster kann Dorsten am finanziellen Förderprogramm teilhaben und ein Mindestmaß an Handlungsfähigkeit behalten (Stadtkämmerer Große-Ruiken in der DZ). Am Förderprogramm hängen Zuschüsse für Projekte wie die „Soziale Stadt Hervest“ und die Neugestaltung des Lippetors.  Den gemeinsamen Antrag von CDU und FDP, eine kommunale Schulden-Bremse zu verankern, lehnten nämlich alle anderen Ratsmitglieder ab. Die Antragsbefürworter hatten argumentiert, dass nur so dauerhaft gewährleistet werden könne, dass notwendige, aber schmerzhafte Sparmaßnahmen dauerhaft Bestand haben. SPD und Grüne verurteilten die „Schuldenbremse“ als wahltaktisches Manöver. Ende November 2012 verkündete Bürgermeister Lütkenhorst, dass die Steuererhöhungen zur Haushaltskonsolidierung vermutlich moderater ausfallen werden, was sich im Dezember bestätigte. Das Land NRW überwies der Stadt zum Stärkungspakt Stadtfinanzen zu den 3,3 Millionen Euro noch einmal 4,1 Millionen Euro, so dass die Summe der Landeshilfe nunmehr insgesamt 7,4 Millionen Euro betrug.

Finanzaufsicht verhängte strengste Auflagenstufe. Mit Blick auf 2013 musste sich die Stadt wegen der „bilanziellen Überschuldung“ (mehr Minus als Plus) einem rigiden Sparkurs verordnen. Die Finanzaufsicht verhängte die strengste Auflagenstufe. Gestiegen sind u. a. Gewerbe-, Grund- und Hundesteuern, Elternbeiträge für Kindergarten und Ganztagsschule, Entgelte für die Nutzung von Turnhallen, Parkgebühren, Eintrittspreise in Theater und Konzerte. Monatelang hatte eine Arbeitsgruppe die Budgets aller Rathaus-Abteilungen durchforstet, aus 150 Vorschlägen schließlich eine Liste mit 74 Möglichkeiten erstellt, Standards und Kosten zu senken oder Einnahmen zu erhöhen. Einige Ideen wurden verworfen, weil sie an Beutelschneiderei grenzten. Seit es feststeht, dass die Stadt im Jahr 2013 mehr Geld ausgegeben haben wird, als ihr gesamtes Vermögen (Straßen, Schulen, selbst das Rathaus) wert und sie dann „bilanziell überschuldet” ist, musste jede Ausgabe ab 60 Euro von den Finanzwächtern der Kommunalaufsicht beim Kreis genehmigt werden. Die Genehmigungen vollzog die Stadt selbst. Allerdings wurden die gesammelten Ausgabebelege mit ihren Begründungen von Zeit zu Zeit von der Kommunalaufsicht geprüft. Anfang 2011 hatte die Stadt insgesamt über 314 Millionen Euro Schulden, die bereits im September auf 333 Millionen gestiegen waren. Davon machten die Kassenkredite für die laufenden Ausgaben rund 250 Millionen Euro aus. 16,6 Millionen Euro werden dafür pro Jahr für Tilgung und Zinsen bezahlt. „Summiert haben sich die Verbindlichkeiten seit Anfang der 1990er-Jahre weniger durch Misswirtschaft als vielmehr durch Zahlungen, zu denen die Stadt ohne eigenes Zutun verpflichtet wurde: Sozialkosten, Solidarbeitrag zum Aufbau Ost und Finanzierung des Kreises sind die größten Posten“ (WAZ vom 24. Februar 2011; siehe auch den diesem Artikel anhängenden Kommentar). Im Mai 2011 stimmte der Rat mit großer Mehrheit für den Haushalt des laufenden Jahres, der ein Defizit von 32,3 Millionen Euro auswies.

Kommentar von Reiner Häusler:
Bund und Land lassen NRW-Städte ausbluten

Es ist einfach, von Misswirtschaft zu sprechen, wenn es um die katastro­phale Finanzlage der nordrhein-westfälischen Städte und Gemeinden geht. Zu viele Amateure in den Rathäu­sern, heißt es dann, zu viele Selbstdarstel­ler und Dampfplauderer, denen es nur darum geht, ihr Ego auszuleben und sich in der Stadtgeschichte zu verewigen. Na­türlich begegnet man solchen Leuten, aber sie sind nicht der Grund für die Schuldenkrise. Wenn nur acht der 400 NRW-Kommunen einen ausgeglichenen Haushalt zustande bekommen, ist es un­wahrscheinlich, dass die restlichen 392 nur von Idioten geführt werden.

Staatliche Fremdveraltung blockiert kommunale Selbstverwaltung

Wenn diese Städte Jahr für Jahr 2,4 Milliarden Euro zusätzliche Schulden auf ihren bestehenden 60-Milliarden-Euro-Schuldenberg packen müssen, dann ist etwas falsch im System. Die Hauptverursacher für das Ausbluten der Heimat von knapp 18 Millionen Menschen sitzen in Berlin, in Düsseldorf und in Brüssel. Denn inzwischen werden 90 Prozent der kommunalen Aufgaben durch Bund, Land und EU vorgegeben. Im Artikel 28 des Grundgesetzes ist zwar von der „kom­munalen Selbstverwaltung“ die Rede, im gleichen Absatz wird sie allerdings durch eine verhängnisvolle Formulie­rung beschnitten: Das Recht, alle Angele­genheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, gelte nur „im Rahmen der Gesetze“. So musste in den vergangenen Jahrzehnten die kom­munale Selbstverwaltung zunehmend der staatlichen Fremdverwaltung wei­chen. Dies ist den Bürgern unserer Städ­te nahezu unbekannt.
Hans Eichel, einst Oberbürgermeister von Kassel, erkannte schon Mitte der 70er, dass „sich die jeweils höhere staatli­che Ebene auf Kosten der nächst niedrige­ren schadlos hält“. 35 Jahre sind seitdem vergangen, ohne jede Wirkung. Dabei wird doch der Staat vor unseren Haustüren und in der Nachbarschaft greifbar. So sorgt ein bürgerfernes Berlin für eine Politik- und Staatsverdrossenheit an Basis der Republik – das ist geradezu demokratiefeindlich.

Steuerentlastende Gesetze zu Lasten der Kommunen

Immer neue Leistungsgesetze – wie das über die Versorgung der unter Drei­jährigen mit einem Kindergartenplatz – werden von Bund und Land zu Lasten der Kommunen beschlossen, ohne die ent­sprechende Finanzausstattung zu ge­währleisten. Ohne zu beachten, ob eine Stadt überhaupt leistungs- oder zah­lungsfähig ist, wird von ihr erwartet, bis 2019 einen kommunalen Soli in den Fonds Deutsche Einheit einzuzahlen und dafür sogar weitere Schulden aufzuneh­men. Seit November 2008 verabschiede­te der Bundestag 14 steuerentlastende Gesetze, die den Kommunen 4,8 Milliarden Euro Mindereinnahmen bescheren. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz – in den Städten Frustrationsbeschleunigungsgesetz genannt – verursachen jährlich weitere Einnahmeausfälle von 8,4 Milliarden Euro. Den Städten immer mehr Kosten zuzuweisen und ihnen gleichzeitig die Finanzierungsgrundlage zu nehmen, das kann nicht gut gehen.

Fremdbestimmung: Gemeinden sitzen in der Vergeblichkeitsfalle

Dies führt dazu, dass die Städte dem wachsenden Schuldenberg mit Sparmaß­nahmen entgegentreten, die das Leben trister machen, aber kaum etwas brin­gen. Für 137 unter Nothaushalt stehende NRW-Kom­munen heißt das: Abbau von Ver­waltungsstellen, Streichung von freiwilligen Leistungen in Sport und Kul­tur, Schließung von Außenstellen der Ver­waltung, von Bürgerbüro, Bä­dern, der Stadtgärtnerei, Einstellung des Bücherbusses, Zusammenlegung von Schulbibliotheken, Ausdünnung des Bus­liniennetzes. Es wird gekürzt und gestri­chen, und trotzdem ist kein Land in Sicht. Durch die Fremdbestimmung sitzen die Städte in der Vergeblichkeitsfalle.
Dies gehört ganz nach oben auf die po­litische Agenda. Es gehört in eine Sonder­sitzung des Bundestages und sollte 2013 Wahlkampfthema werden. Es braucht ei­nen konkreten Rettungsplan. Darin müsste über eine Änderung des Grundge­setzes die Abhängigkeit von Berlin gelo­ckert und als Erstes der Solidarpakt Ost eingetauscht werden gegen ein generel­les „Notopfer Stadt“. Das würde Hilfen nach Bedürftigkeit verteilen und nicht mehr nach Himmelsrichtung.
Um die Not öffentlich zu machen, ha­ben die Oberbürgermeister und Kämme­rer der Städte Leverkusen, Wuppertal, Remscheid, Solingen und die Landräte des Oberbergischen Kreises, des Rhei­nisch-Bergischen Kreises und des Krei­ses Mettmann schon zwei Mal parteiüber­greifend vor dem Reichstag protestiert. Nach dem letzten Ungehorsam sollte es Fachgespräche mit den finanz- und kom­munalpolitischen Sprechern aller Bun­destagsfraktionen geben.
Doch was passierte? Einige Fraktio­nen wollten die Vertreter erst gar nicht empfangen. Andere hatten gerade mal ei­ne Stunde Zeit. Und die Abgeordneten, die sich auf eine Auseinandersetzung ein­ließen, zeigten sich mitunter von erschre­ckender Unkenntnis und einzigartigem Unverständnis. Die Vertreter der Kom­munen verließen Berlin noch frustrier­ter, als sie in die Hauptstadt gekommen waren.

Druck muss von der Bevölkerung kommen

Es eilt. Das Städtesterben ist eines der am meisten unterschätzten Probleme der Bundesrepublik. Das Thema kann Wah­len entscheiden, sofern man es ignoriert. Es lässt soziale Brennpunkte zum Flä­chenbrand werden, koppelt ganze Quar­tiere von der Entwicklung ab und lässt damit Radikale in Erscheinung treten, die sich die Not der Vergessenen und Ver­zichtbaren zunutze machen.
Solange sich in Berlin nichts tut, wird es an den Menschen in den Städten lie­gen, Druck zu entfachen. Es müsste die Zeit des modernen Heimatkampfes be­ginnen. Die Leute gingen auf die Straßen und Plätze ihrer zerfallenen Städte, sie würden vorbeiziehen an den geschlosse­nen Jugendtreffs, den verlassenen Ladenlokalen, an den verdreckten Quartieren, an den Plätzen, wo die Neonazis das Regi­ment führen. Sie könnten den Slogan der Occupy-Bewegung verwenden: „Wir sind die 99 Prozent!“ Und wir lassen uns nicht länger unseren Lebensraum kaputt machen!
Nur: Drücken die lokalen Probleme vielleicht noch zu wenig auf Portemon­naie und Seele? In Leverkusen wurde beispielsweise die Grundsteuer, für die jeder Bürger auf­kommen muss, von 2010 auf 2011 um sat­te 18 Prozent erhöht. Der große Auf­schrei blieb aus. Warum? – Eine Stadt, ein Bundesland, eine Republik kann sich an­gesichts der Not ein solches Stillhalten nicht mehr leisten.

Der Autor Reiner Häusler (SPD) war bis Februar 2012 Stadtkämmerer von Leverkusen.
© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von http://www.sz-content.de (Süddeutsche Zeitung Content).


Quellen: Klaus-Dieter Krause in DZ vom 12. März 2010. – Nikolaus Holecek in WAZ vom 12. März 2010. – Ludger Böhne in der WAZ vom 26. April 2010. – Nach Ludger Böhne „Erhöhung 2011…“ in WAZ vom 1. Dezember 2010. – Martin Ahlers „Dorsten beklagt Haushaltslöcher noch und nöcher“ in WAZ vom 24. Februar 2011. – Michael Klein „Der gesamten Stadt droht der Kahlschlag“ in DZ vom 25. August 2011. – Ludger Böhne „Konferenz der Pleitestädte“ in WAZ vom 24. Oktober 2011. – Ders.  „Aus eigener Kraft nicht aus der Schuldenfalle“ in WAZ vom 31. Oktober 2011. – WAZ vom 29. November 2011. – Nach Martin Ahlers „Abgaben und Gebühren steigen auf breiter Front“ in WAZ vom 14. Dezember 2011. – Ludger Böhne „Schuldenberg wächst auf 330 Mio. Euro“ in WAZ vom 28. Dezember 2011. – Martin Ahlers „Jetzt kreist der Rotstift“ in WAZ vom 12. Januar 2012. – K.-D. Krause „Dorsten will das Land NRW verklagen in DZ vom 17. Januar 2012. – Verschiedene Beiträge von Dr. Helmut Frenzel in Online-Magazin DORSTEN-transparent (2012). – Martin Ahlers „Haushalt 2014: Planung mit Risiken“ in WAZ vom 18. September 2013. – K.-D. Krause „Rat verabschiedet Haushalt 2013“ in dr DZ vom 28. Februar 2013. – Stefan Diebäcker „Im Land der Schönrechner“ in DZ vom 27. November 2014. – Derselbe „Haushalt der Stadt ist auf einem guten Weg“ in DZ vom 8. August 2015. – DZ vom 2. März 2016. – DZ vom 19. Juni 2018. – Michael Wallkötter in DZ (Kreisseite) vom 4. Juni 2020. – Stefan Diebäcker in DZ vom 3. Dezember 2022

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