Dorstener Maschinenfabrik

Traditionsreiches Dorstener Unternehmen sah einmal bessere Zeiten

Eisengießerei 1910

Das damals gewaltige Werk der Eisengießerei in Dorsten 1910

Auch Eisengießerei genannt. Die 1873 von den Dorstenern Rive, von Raesfeld, Eveld, Rensing und Jungeblodt als Maschinen- und Ersatzteillieferant für die Zechen mit einem Kapital von 354.000 Mark gegründete Eisengießerei und Maschinenfabrik, die unter dem Begriff „Dorstener“ sich weltweit einen Namen gemacht hatte, gehörte einst zu den führenden Unternehmen des speziellen Schwermaschinenbaus und war in mehr als 100 Ländern präsent. Es wurden zunächst Produkte wie Fallstempelpressen für die Kalksand-, Ziegel-, Chemie- und Futtermittelindustrie hergestellt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts lieferte die „Dorstener“ 295 Steinpressen nach China, Amerika, Sibirien, Belgien, Italien, Norwegen, Österreich, in den Nahen Osten und in die Schweiz.

In den Jahren 1920 bis 1922 wurde das Aktienkapital umgestellt

Oben: Eisengießereo um 1880; unten: Umzug in der NS-Zeit

Oben: Eisengießerei 1880; unten: Umzug in der NS-Zeit

1908 wurde der Sitz des Unternehmens von Dorsten nach Hervest-Dorsten verlegt und in den Jahren 1920 bis 1922 das Kapital auf 2.400.000 Mark erhöht. Laut Hauptversammlung vom 7. Januar 1925 fand eine Umstellung des Aktienkapitals von 2.400.000 Mark auf 600.000 Reichsmark statt. 1929 wird für den Vertrieb von Zahnrädern die Derendorfer Zahnräderfabrik H. Geiger GmbH mit dem Sitz in Düsseldorf gebildet (Kap. 26.000 RM), wo bisher dieselbe Firma als offene Handelsgesellschaft bestanden und die in Derendorf gelegene Fabrik betrieben hatte. Gelände und Gebäude  werden an die Reichsbahn verkauft, die Einrichtungen zu einem wesentlichen Teil nach Hervest-Dorsten übergeführt.

Während der NS-Zeit: Kapitalerhöhung von 300.000 auf 900.000 RM

Darüber ist wenig bekannt. Vermutlich wurden die Produkte der Maschinenfabrik auf Kriegsproduktion umgestellt. Nach mehreren Verlustjahren fand 1937/38 wieder eine Dividendenzahlung statt. Am Ende des Geschäftsjahres 1936/37 wurde aus Zweckmäßigkeitsgründen die Weiterführung der GmbH aufgegeben. Die Anlagen der Maschinenfabrik bestanden 1938 aus der Eisengießerei, Maschinenfabrik, Zahnräderfabrik und einer Lehrwerkstätte. 1938 wurde als Tochtergesellschaft die Düsseldorfer Zahnräderfabrik H. Geiger GmbH (Vertriebsges.) genannt. 1940 fand eine Kapitalerhöhung um 300.000 RM auf 900.000 RM zwecks Werkserweiterung in Aktien zu 300 RM statt. Die neuen Aktien, auf Namen lautend, werden 2:1 zu 106 Prozent  angeboten. Am 19. Dezember 1943 fand die vorerst letzte ordentliche Hauptversammlung statt.

1943 Organe und Kapital – u . a. Präzisionszahnräder produziert

300 Reichsmark-Aktie

300 Reichsmark-Aktie

Vorstand: Dipl.-Ing. Ernst Junker (Dorsten), Aufsichtsratsvorsitzender: Bergwerksdirektor Bergassessor Ad. Jungeblodt (Wesel), stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender: Bergwerksdirektor Bergassessor Stein (Recklinghausen); Bankier Bernard Randebrock, (Naumburg an der Saale), Gustav Hilgenberg (Essen); Abschlussprüfer für 1942/43: Dipl.-Kaufmann Dr. Schumacher (Münster). In der Hauptversammlung (Stimmrecht) hatte jeder Aktieninhaber pro nominale 300 RM-Aktie 1 Stimme. Von dem Jahresreingewinn waren zunächst mindestens 5 Prozent zur gesetzlichen Rücklage abzuführen. Die Erhöhung der Rücklage holte auf, sobald und solange dieselbe 10 Prozent des Grundkapitals betrug. Nach Zuweisung an die Rücklage waren entsprechende Beträge für etwa notwendige besondere Abschreibungen und Rücklagen abzusetzen. Hiernach waren 4 Prozent Dividende an die Aktionäre zu verteilen. Von dem verbleibenden Rest erhielt der Aufsichtsrat eine Vergütung von 8 Prozent. Der dann noch verbleibende Rest stand zur Verfügung der Hauptversammlung. Gegenstand des Unternehmens war die Fabrikation von Maschinen und Gussstücken aller Art. Produziert wurden Präzisions-Zahnräder und Getriebe, Trockenpress-Ziegeleieinrichtungen für Tonschiefer, Kalksand, Schlacken, feuerfeste Materialien usw. Brikettierungsmaschinen für Zementrohmehl, Gichtstaub, Rückstände in Metallhütten und chemische Fabriken. Förderseilscheiben, hochwertiger Maschinenguss (Quelle: Handbuch Akt.-Ges. 1943/879).

Stewing hielt mehr als 50 Prozent des Stammkapitals

Bei Kriegsende völlig zerstört, wurde das Werk als ein für die Zeche wirtschaftlich wichtiger Betrieb in anderthalbjähriger Bauzeit wieder errichtet. Die Bilanz wies 1947 eine Million Reichsmark aus, die bei der Währungsreform 1948 1:1 umgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hielt Bernard Randebrock aus Wuppertal rund 25 Prozent des gezeichneten Kapitals. 1957 beschloss die Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung auf zwei Millionen DM, 1961 wurde es auf drei Millionen DM erhöht. 1961 verstarb Bernard Randebrock, dessen Erben eine 32-prozentige Beteiligung übernahmen, dessen Hälfte im selben Jahr an Hans-Jürgen Langen aus Pullingen ging. Die Dorstener Unternehmerfamilie Stewing tauchte erstmals 1967 in der Aktiengesellschaft mit einem Anteil von 0,03 Prozent auf.

Eklat in der Hauptversammlung 1971 – Albert Stewings Sperrminorität

Albert Stewing (rechts); Pressebild

Albert Stewing (rechts); Pressebild

In der Hauptversammlung 1971 kam es zum Eklat, als der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Randebrock nicht mehr gewählt wurde, sondern Hans-Jürgen Langen, der im Laufe des Jahres die verbliebene Randebrocksche Beteiligung übernahm. Der Dorstener Quarzsand- und Kieshersteller Erich Müller hielt eine 25-prozentige Sperrminorität. Zwei Jahre später wurde der Dorstener Albert Stewing einstimmig zum Aufsichtsratsmitglied gewählt, der inzwischen mehr als 50 Prozent des Aktienkapitals hielt (Eigen- und Fremdbesitz). Ein Jahr später meldete die Maschinenfabrik seit Kriegsende erstmals Verlust. Proteste regten sich gegen Albert Stewing. Gegen eine 1974 vorgesehene Kapitalerhöhung um 1,5 Millionen DM (genehmigtes Kapital) stimmte Aktionär Müller (Quarzwerke) mit seiner Sperr-Minorität. Daraufhin gab Albert Stewing der Aktiengesellschaft ein privates Darlehen in Höhe der vorgesehenen und nicht genehmigten Kapitalerhöhung. Die genauen Bedingungen des Darlehenvertrags wurden geheim gehalten und haben bis in die 1990er-Jahre hinein wiederholt die Hauptversammlungen der Gesellschaft beschäftigt. 1982 wurde bekannt, dass Stewing für das Darlehen einen Zinssatz von 14 Prozent erhielt.

In den Hauptversammlungen ging es hoch her

1976 wurde der Firmenname in „Dorstener Maschinenfabrik Aktiengesellschaft“ geändert. 1980 verstarb Erich Müller. Seine Erben verkauften die rund 26-prozentige Beteiligung an die Flender-Werke in Bocholt. 1983 wurde ein Betrugsfall aufgedeckt. Das Vorstandsmitglied Joachim H. aus Ratingen hatte über einen Zeitraum von fünf Jahren private Kosten über Firmenkonten abgerechnet und sich selbst eine „Provisionszahlung“ in Höhe von 1,3 Millionen DM bewilligt. In der Hauptversammlung 1984 ging es erneut hoch her, weil der Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzende Albert Stewing nicht entlastet wurde. Stewing gelang es, im Laufe des Jahres 1985 die Flender’sche Beteiligung zu übernehmen. Er hielt daraufhin direkt und indirekt 97 Prozent des Aktienkapitals. 1994 wurde der Anteil der freien Aktionäre mit noch 1,3 Prozent angegeben. 1993 gehörten 25 Prozent des Unternehmens Gertrud Stewing, Ehefrau von Albert Stewing, 73 Prozent der „Albert Stewing Beteiligungsgesellschaft & Co Kommanditgesellschaft“ (ASB). Die ASB übereignete ihr Aktienpaket sicherheitshalber einem Bankenpool, machte aber zur Bedingung, dass der Erlös aus einer eventuellen Verwertung der Dorstener Maschinenfabrik zur Abdeckung von Darlehn zustand, die diese an Unternehmen der Stewing-Gruppe gegeben hatte. 1997 wurde über das Privatvermögen des Albert Stewing und die meisten Unternehmen der Stewing-Gruppe das Konkursverfahren eröffnet. Die Dorstener Maschinenfabrik war zunächst nicht betroffen, musste jedoch Darlehnsforderungen an verbundene Unternehmen (des Großaktionärs Stewing) in Höhe von 13 Millionen DM wertberichtigen. 1999 legt Stewing sein Aufsichtsratsmandat nieder. Die Banken verwerteten das Stewing’sche Aktienpaket nicht, da der Erlös der Dorstener Maschinenfabrik zustand und diese sich weigerte, auf ihre Ansprüche zu verzichten. Der Maschinenfabrik war der Zugriff auf ihre Kreditsicherheiten entzogen, da die Banken keine Verwertung der sicherungsübereigneten Aktien betrieben.

Seit dem Jahr 2000 eine funktionslose Aktiengesellschaft

Früher vor dem Eingang der Dorstener Maschinenfabrik (Eisengießerei)

Früher vor dem Eingang gestanden

Der vorerst letzte Geschäftsbericht der Dorstener Maschinenfabrik Aktiengesellschaft von 1999 (für das Geschäftsjahr 1998) endet mit einer Bilanzsumme von 62.966.166,02 DM und einem Bilanzverlust von 62.815.39,24 Deutsche Mark. In der Bilanz verblieben gerade noch 150,78 DM. Von den Forderungsausfällen aufgrund des Stewing-Konkurses hatte sich das Unternehmen nicht mehr erholt. Im Jahre 2000 wurde über das Vermögen der Dorstener Maschinenfabrik das Insolvenzverfahren eröffnet. Seitdem existiert die Dorstener Maschinenfabrik als funktionslose, börsennotierte Aktiengesellschaft fort. Der Mantel wird an der Düsseldorfer Börse immerhin mit mehr als zwei Millionen Euro bewertet. Gertrud Stewing ist nach wie vor mit 25 Prozent beteiligt, gut 72 Prozent des Nennkapitals liegen beim Bankenpool.
Hinter der Zukunft der Dorstener Maschinenfabrik, seit 2001 Teil der Zollern-Gruppe, steht weiterhin ein Fragezeichen. Noch immer nicht ist klar, welchen Einfluss der Tod des Milliardärs Adolf Merckle hat, der zu 50 Prozent an der Zollern-Gruppe beteiligt ist und der erhebliche Finanzprobleme hinterlassen hat. Die Dorstener Fabrik war in letzten Jahren gewachsen, weil sie in erster Linie Getriebe für Windkraftanlagen herstellt. Im Jahr 2015 sollte das leblose aber noch börsennotierte Werk an der Hüttenstraße endgültig dicht gemacht werden, dessen Finanzen seit dem Jahr 2000 von dem Düsseldorfer Insolvenzverwalter und Spezialist für schwierige Sanierungen, Horst Piepenburg, verwaltet werden. Bei ihm meldete sich André H. Müller, Vorstand der Cannabrands AG, der die Maschinenfabrik wieder beleben möchte. Erste Gespräche, so Müller, stünden in Kürze mit Investoren an, das Abschlussgespräch mit dem Insolvenzverwalter habe bereits stattgefunden und eine außerordentliche Hauptversammlung der Gläubiger werde vorbereitet.

Hauptversammlung der Maschinenfabrik-Aktionäre in Dorsten

André H. Müller

André H. Müller hat das Sagen

Die Aktionärsversammlung fand im August 2016 statt. Die Aktionäre der Dorstener Maschinenfabrik haben auf einer Hauptversammlung in Dorsten einstimmig die Fortführung der Gesellschaft beschlossen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Insolvenzverfahren erfolgreich abgeschlossen wird.
André H. Müller, Vorstand einer Firma namens Cannabrands AG, war vom zuständigen Registergericht Gelsenkirchen im März zum Mitglied des Vorstands bestellt worden. Er möchte zur Freude der 18 in Dorsten versammelten Aktionäre, die etwa ein Drittel des Grundkapitals halten, das Traditionsunternehmen retten. Das Insolvenzverfahren war im Jahr 2000 eröffnet worden. Seitdem existierte die Dorstener Maschinenfabrik nur noch als funktionslose, börsennotierte Aktiengesellschaft. Das Traditionsunternehmen war 2001 von der Zollern GmbH übernommen worden, doch die machte das Werk an der Hüttenstraße im letzten Jahr endgültig dicht.
Müllers Cannabrands AG hat mittlerweile einen Großteil der Aktien (Nennwert 50 D-Mark) erworben. Der Kurs war im letzten Jahr rapide in den Keller gegangen. Als Beteiligungsgesellschaft oder Investorenmodell habe die Eisengießerei durchaus Zukunft, meint Müller. Über den Inhalt des Insolvenzplans habe er mit dem zuständigen Insolvenzverwalter Horst Piepenburg Einvernehmen erzielt. – Seine Cannabrands AG (Cannabis) mit Hauptsitz in Salzburg gibt es erst seit Oktober 2015 und ist nach eigenen Angaben spezialisiert auf den Aufbau und Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen.

25-jähriges Firmenjubiläum im Jahre 1899 – Ein Zeitungsbericht

Jubiläum in Dorsten. Ein Vierteljahrhundert war zu Anfang dieses Jahres verflossen, seit nach der Eröffnung der Eisenbahn Wesel-Haltern am Köln-Mindener Bahnhof die Dorstener Eisen­gießerei und Maschinenfabrik gegründet wurde und Herr Director Schuhmacher die Leitung des neuen Werkes übernahm. Dieses Doppelfest glaubten die Angestellten und Arbeiter des Werkes nicht vorübergehen lassen zu sollen, ohne es in an­gemessener, würdiger Weise zu feiern. Schon von langer Hand waren die Vorbereitungen getroffen und man durfte ein gut Ge­lingen erwarten. Doch hätte beinahe das Wetter die Vor­bereitungen, soweit sie das äußere Fest betrafen, zunichte ge­macht. Nach 4 Uhr aber klärte sich das Wetter und so konnte die Feier um 5 Uhr programmmäßig beginnen.
Ein Fackelzug der Arbeiter bewegte sich unter Vorantritt einer Kapelle zur Wohnung des Directors Schumacher. Der Platz vor dem Hause war durch electrische Lampen erleuchtet. Nach dem Vortrage einiger, für die Feier besonders gedichteter Lieder durch den Gesangchor der Arbeiter unter Leitung des Herrn Lehrers Bronstert und einiger Musikstücke feierte Herr Obermeister Herpers die Verdienste des Directors und brachte ihm ein Hoch, in das die Arbeiter unter dem Donner der Böller begeistert ein­stimmten. Der Herr Direktor dankte und dann zog der Zug der Stadt zu, um im festlich geschmückten Koop’schen Saale weiter zu feiern.

Auf erhöhter Bühne saß der Jubilar mit Familie

Es fielen im Saale besonders die beiden Wand­gemälde ins Auge. Auf dem einen winkt Director Schumacher die 1000. Presse heran. Ein Zwerg drückt darüber seine Freude aus, ein anderer schiebt jauchzend die Presse fort. Das andere Bild zeigte die Eisengießerei am Abend in vollem Betriebe. Die erhöhte Bühne war der Platz für den Jubilar und seine Familie, den Aufsichtsrath und die Ehrengäste. Bald entwickelte sich bei gutem Essen und vorzüglichem Trank, bei Rede, Lied und Musik eine sehr animirte Stimmung. Das Mitglied des Aufsichtsrathes, Herr Hilgenberg-Essen brachte das Kaiserhoch aus. Der Vor­sitzende des Aufsichtsrathes, Herr Director Randebrock aus Recklinghausen, mit dem verstorbenen Generaldirektor Rive Gründer der Fabrik, feierte den Director Schumacher, der trotz heftiger Stürme und flauer Zeit die Fabrik zu einem geachteten Werke machte. Redner schloß mit einem Hoch auf den Director.
Dieser lenkte das Verdienst von sich ab, schrieb es vielmehr dem Aufsichtsrathe zu, dass das Werk florire. Herr Director Randebrock machte sodann noch die freudige Mittheilung, daß das Werk auch aus Anlass des Festes seiner Arbeiter gedacht habe. Als Unterstützungsfond für in Noth gerathene Arbeiter sind 10.000 Mark bewilligt. Jeder Arbeiter erhielt als Geschenk ein Sparkassenbuch. In dasselbe waren Beträge eingetragen zwischen 25-200 Mark, je nach der Länge der Zeit, die der Arbeiter auf dem Werke zugebracht. Auch die Invaliden waren eingeladen und erhielten ihr Sparkassenbuch. Die Stunden ver­flogen nur zu rasch. Das in jeder Hinsicht großartig verlaufene Fest wird lange in aller Erinnerung bleiben.
– „Thonindustrie-Zeitung“ 1899, Seite 59


Quellen:
Nach Steven Milverton (Bild ganz oben). – Dorstener Zeitung (DZ) vom 2. September 2016

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