Boykott jüdischer Geschäfte

Die Dorstener Bevölkerung reagierte teils ratlos, teils voller Abscheu

Boykott jüdischer Geschäfte (nicht Dorsten)

Im gesamten Reich wurden am 1. April 1933 jüdische Geschäfte boykottiert (Bild nicht Dorsten); Foto: Ullstein

Von Wolf Stegemann – Gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verkündete Mitte Februar 1933 der damalige preußische Innenminister Hermann Göring (NSDAP), wie die Nationalsozialisten ihre Gegner auszuschalten gedachten:

„Jede Kugel, die jetzt aus dem Lauf einer Polizeipistole geht, ist meine Kugel. Wenn man das Mord nennt, dann habe ich gemordet, das alles habe ich befohlen, ich denke das. Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristischen Bedenken. Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche Bürokratie. Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts…“

Dorstener Volkszeitung vom 30. März 1933

Dorstener Volkszeitung vom 30. März 1933

Schonungslos offenbarte Göring öffentlich, was auf die Menschen im (noch) Rechtsstaat Deutschland zukommen sollte. Wie er es angekündigt hatte, traf es dann auch ein. Vor allem die „Juden“ hatten sich die Nationalsozialisten als ihre „Gegner“ ausgesucht, die sie zuerst benachteiligten und gedemütigten, dann, als es keine großen Widerstände aus der Bevölkerung gab, verfolgten, vertrieben, beraubten und ermordeten. Die wesentlichen Stationen ihrer Verfolgung, die zu ihrer Vernichtung führten, waren der Boykott 1933, die Zerstörung der Synagogen und „Arisierung“ jüdischen Besitzes 1938, die Deportation in die Vernichtungslager des Ostens 1942. SA-Männer und uniformierte Jugendliche verteilten am 31. März 1933 in den Straßen Dorstens Flugblätter, die zum offiziellen Boykott der jüdischen Geschäfte für Samstag, den 1. April, aufriefen. Die Parole wurde verbreitet: Boykottiert alle jüdischen Geschäfte – Kauft nicht bei Juden – Die Juden sind unser Unglück.

SA- und SS-Männer mit Plakaten: Deutsche kaufen nicht bei Juden

Anderntags zogen ab zehn Uhr SA- und SS-Männer vor den Geschäften der jüdischen Bürger auf. In den Händen hielten sie Plakate mit der Aufschrift „Deutsche kaufen nicht bei Juden“. Betroffen waren u. a. die Geschäfte Ambrunn (Lippestraße 59), Kaufhaus zum Bär (Lippestraße 22), Simon Reifeisen & Co. (Essener Straße 22), die Metzgereien Perlstein (Essener Straße 24 und 57), Maier Moses in Wulfen und Textilwaren Silber in Hervest-Dorsten (Burgsdorffstraße 16). Die Dorstener Bevölkerung stand den Boykottmaßnahmen teils ratlos, teils mit Abscheu gegenüber. In Dorsten dekorierte Amalie Perlstein in der Essener Straße das Schaufenster ihrer Metzgerei mit dem Bild ihres Sohnes Otto, der im Ersten Weltkrieg für sein deutsches Vaterland gefallen war. Von außen klebten SA-Männer Schilder an die Scheibe, die darauf hinwiesen, dass dies ein jüdisches Geschäft sei.

SA-Männer drangen in Hervest-Dorsten ins Geschäft Joseph Silber ein

In Hervest-Dorsten stürmte ein SA-Trupp das Damen- und Herrenbekleidungshaus von  Joseph Silber. Wie seine Tochter berichtete, stellten die SA-Männer an ihren Vater die Forderung: „Entweder du schließt den Laden oder Kopf ab!“ Joseph Silber nahm die Drohung ernst. Er wanderte mit seiner Familie Ende 1933 nach Palästina aus. Andere jüdische Bürger hielten ihn für einen Pessimisten und glaubten, dass sich die politische und wirtschaftliche Lage wieder bessern werde. Diesen Optimismus vieler Dorstener Juden mussten Jahre später viele von ihnen mit dem Leben bezahlen. Der Tag des offiziellen Boykotts jüdischer Geschäfte verlief nach Angaben der Polizeidirektion Recklinghausen im Vest und den umliegenden Orten in völliger Ruhe. Ausschreitungen seien nirgends vorgekommen. Der Dorstener Dr. Josef Wiethoff, Syndikus des Kampfbundes des gewerblichen Mittestandes, trat bereits am 27. April 1933, also noch im Monat des Boykotts, offen für die nationalsozialistischen Ideen ein und propagierte in einem Elf-Punkte-Programm, abgedruckt in der „Dorstener Volkszeitung“, u. a.:

„Wir fordern die Ausschaltung des zerstörerischen Einflusses der Juden aus dem wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Leben des deutschen Volkes.“ Er schloss den Bericht mit den Worten: „Es ist klar, dass diese Ziele nicht von heute auf morgen, sondern in jahrelanger harter Gemeinschaftsarbeit zu erreichen sind …“


Quelle:
Wolf Stegemann „Ihr Leben war das Letzte, was man ihnen nahm“ in Stegemann/Hartwich „Dorsten unterm Hakenkreuz. Die jüdische Gemeinde“, 1983.

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