Beiern

Altes Brauchtum verkündete mit Glockenklang Agathas Lob

Schon über 500 Jahre ist es her, dass sich die Dorstener Agathakirche unter den Schutz der heiligen Märtyrerin gestellt hat. Die Glocken verkünden ihr Lob. Heute geschieht dies elektrisch und somit automatisch, früher mussten die Glocken mit der Hand bewegt werden. Das nannte man „Beiern“. Es war ein Geläute, das früher während der St. Agatha-Oktav üblich war, zwischendrin vergessen wurde und nach dem Wiederaufbau der Kirche nach 1945 für eine ganz kurze Zeit wieder eingeführt und dann endgültig abgeschafft wurde. h-hahne-wilhelmBeiern ist eine traditionelle durch Menschenhand und Manneskraft betriebene Art des Glockenspiels, die man schon um das Jahr 1500 kannte. In Dorsten waren die Töne jeden Samstagabend nach dem Angelusläuten zu hören. Um das „Baiern“ im neuen Turm nach dem Wiederaufbau zu ermöglichen, war viel Vorarbeit notwendig, zu der nicht nur die ausersehenen „Beiermänner“ ihren Teil dazu beigetragen haben, sondern auch viele Dorstener Handwerker. Im Herkunftswörterbuch des Duden findet sich der Begriff „beiern“ nicht, der Rechtschreib-Duden sagt aus, dass das Wort „Beiern“ landschaftlichen Ursprungs sei und es soviel bedeutet wie „mit dem Klöppel läuten“. Beiern kommt von „Beiermann“, der nach einer bestimmten Tonfolge die Glocken mit Händen und Füßen zieht. Der letzte Beiermann vor dem Krieg in Dorsten war Wilhelm (Wilm) Hahne (1869 bis 1940), der als 14-Jähriger beim Beiermann Johann Baumann in die Lehre ging (Foto). Baumann entstammte einer alten Dorstener Bürgerfamilie, in der das Amt des Beiermanns vom Vater auf den Sohn vererbt wurde. Als Johann Baumann sich 1883 nicht mehr stark genug fühlte, denn das Beiern war körperlich sehr anstrengend, musste der 16-jährige Wilm Hahne am Himmelfahrtstag das Glockenspiel allein übernehmen. Bis 1927 hatte er das Beiern durchgehalten. Dann fiel das Beiern zum Leidwesen vieler Dorstener dem elektrischen Fortschritt im Kirchturm von St. Agatha zum Opfer.

Das Beiern forderte eine fast übermenschliche Anstrengung. Da war zunächst die Marienglocke zu läuten. Sie stammt aus dem Jahr 1732, hat eine Höhe von 1,32 Meter und einen Durchmesser von 1,42 Meter und wiegt 1.500 Kilogramm. Die Agathaglocke, die etwas später hinzukam, hat eine Höhe von einem Meter, einen Durchmesser von 1,28 Meter. Ihr Gewicht beträgt 1.000 Kilogramm. Die Johannesglocke hatte annähernd die Maße und das Gewicht der Agathaglocke. Im Zweiten Weltkrieg mussten die Glocken abgenommen, um für die Waffenproduktion eingeschmolzen zu werden. Der Zufall hatte sie vor der allgemeinen Tiegelschmelze bewahrt. Auf dem „Glockenfriedhof“ fand man sie wieder.

Die Glocken hatten nach dem Wiederaufbau im neuen Turm nicht mehr den gleichen Klang. Das lag offensichtlich daran, dass der neue Turm aus Beton besteht, während der alte aus altem Gemäuer bestanden hatte. Hinzu kam, dass die Balken und die schwere Glockenuhr sowie die hölzernen Schalllöcher im alten Turm einst mitgeklungen hatten. Wie beliebt das Beiern früher gewesen ist, beweist ein kleiner Vers des Dorstener Volksmundes: „De Deene wollt trauen, de Jonge wollt nicht dauen, help, help, help, St. Agatha!“

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