Antisemitismus im Kreis Recklinghausen

Polizei zog Bilanz: Straftaten ab Oktober 2023 sprunghaft angestiegen

 Der Nahost-Konflikt ist auch im Kreis Recklinghausen angekommen. Von Oktober 2023 bis Januar 2024 sind zahlreiche antisemitische Straftaten angezeigt worden. Tatverdächtige wurden ermittelt. Der 7. Oktober 2023 war für Jüdinnen und Juden in ganz Deutschland und darüber hinaus eine Zäsur. Über 1300 Menschen wurden in Israel grausam von Kämpfern der Hamas getötet. Noch immer werden Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Die israelische Armee hat sich seit dem terroristischen Überfall zum Ziel gesetzt, die Hamas in einer groß angelegten Offensive militärisch zu zerschlagen. Die Gegenreaktion forderte bislang auch Tausende zivile Opfer. Die Auswirkungen des 7. Oktober und des Krieges sind aber längst nicht nur im Nahen Osten spürbar. Wie das Polizeipräsidium Recklinghausen berichtet, ist die Zahl der antisemitischen Straftaten im Zuständigkeitsbereich (Kreis Recklinghausen, Bottrop) seit dem 7. Oktober sprunghaft angestiegen.

Polizei im Kreis registriert Anzeigen in 24 Fällen

24 Fälle mit nachweislichen beziehungsweise sehr wahrscheinlichen Bezügen zum aktuellen Nahost-Konflikt hat das Präsidium für den Zeitraum von Oktober 2023 bis Januar 2024 registriert. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 waren für das Vest lediglich zwei antisemitische Straftaten angezeigt worden. Die Zahlen, erklärt Polizeisprecher Andreas Lesch, sprächen eine eindeutige Sprache. Mittlerweile habe sich die Lage aber beruhigt. Im Januar sei lediglich eine antisemitische Straftat hinzugekommen. Mehrere pro-palästinensische Demonstrationen im Kreis Recklinghausen verliefen nach Angaben der Polizei weitgehend störungsfrei. Lediglich bei einer Kundgebung auf dem Neumarkt in Recklinghausen wurde gegen einen 17-jährigen Teilnehmer Strafanzeige erstattet. Der Jugendliche hatte die Israelis als „Kindermörder“ beschimpft. In zehn der 24 angezeigten Fälle konnten Tatverdächtige ermittelt werden, teilweise auch auf Hinweise von Zeugen. Überwiegend wurde von der Recklinghäuser Polizei wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt. Dabei ging es auch mehrfach um Hass-Postings im Internet, so der Polizeisprecher. Weitere Straftatbestände, bei denen die Polizei eingeschaltet wurde, sind Sachbeschädigung (zum Beispiel antisemitische Schmierereien an Gebäuden), Beleidigung, Bedrohung und Nötigung sowie Diebstahl.

Israel-Fahne vom Rathaus-Vorplatz gestohlen

Für Schlagzeilen sorgte in diesem Zusammenhang am 12. Oktober 2023 die Entwendung der israelischen Flagge vom Vorplatz des Recklinghäuser Rathauses. Der polizeiliche Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf. Das Polizeipräsidium hat die Sicherheitsmaßnahmen an jüdischen Einrichtungen im Vest – wie der Synagoge in Recklinghausen oder dem Jüdischen Museum in Dorsten – deutlich hochgefahren. Aktuell werde die örtliche Sicherheitslage fortlaufend bewertet, heißt es bei der Polizei. „Alle Bürgerinnen und Bürger sollen sich in unserer Mitte sicher fühlen“, betont Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen. „Antisemitische Straftaten zu verhindern und konsequent zu verfolgen, das ist unser Ziel. Israelfeindlichkeit werden wir nicht dulden.“

2023: Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – 320 Vorfälle

Der Terror-Angriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und der anschließende Gaza-Krieg hat in Nordrhein-Westfalen Judenfeindlichkeit genährt. Bis zum 4. Dezember 2023 sind seitdem schon 320 antisemitische Vorfälle in NRW dokumentiert worden. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine SPD-Anfrage hervor. Die Zahlen sind von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) erhoben worden, die im April 2022 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Für das Jahr 2022 hatte die Meldestelle 264 antisemitische Vorfälle in NRW erfasst. Davon sei etwa jede vierte bei der Polizei angezeigt worden, berichtete NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) in ihrer Antwort. Der vollständige Jahresbericht für 2023 wird Mitte 2024 veröffentlicht (dpa).

Verfassungsschutz ruft 2024 zu anhaltendem Engagement auf

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat zu anhaltendem Engagement gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland aufgerufen. „Der Kampf gegen Antisemitismus muss weiter fortgesetzt werden“, sagte er im Februar 2024 in einer Pressekonferenz zur Vorstellung eines Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus in Berlin. „Alle Menschen sind dazu aufgerufen, sich daran in ihrem eigenen Umfeld zu beteiligen. Die Sicherheitsbehörden allein können dieses Gespenst nicht aus der Welt schaffen. Das muss überall dort passieren, wo Antisemitismus vorkommt – egal ob an Schulen, Universitäten oder in Sportvereinen. Überall, wo sich Antisemitismus zeigt, muss die Gesellschaft aufstehen und sagen: Da ist die rote Linie. Da ist Schluss.“
Haldenwang fügte mit Blick auf den Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober hinzu, dieser sei insofern eine Zäsur gewesen, „als wir danach diese enorme Steigerung antisemitischer Straf- und Gewalttaten hatten. Das war Teil des Weckrufs für die schweigende Mehrheit dieser Gesellschaft, auf die Straße zu gehen und sich für die Demokratie insgesamt einzusetzen.“ Ein weiterer Teil des Weckrufs sei die Konferenz in Potsdam gewesen, bei der Rechtsextremisten über Pläne zur sogenannten Remigration berieten. Der Verfassungsschutzpräsident betonte: „Es ist jedenfalls beeindruckend, dass sich Millionen Menschen in Deutschland nicht mehr wegducken, sondern ihre Position auf der Straße jetzt offen zeigen.“ Insbesondere die Freie Universität Berlin (FU) stand in letzter Zeit wegen antisemitischer Vorfälle im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Anfang Februar wurde der jüdische FU-Student Lahav Shapira von einem pro-palästinensischen Kommilitonen so schwer verprügelt, dass er mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste (Markus Decker/ Felix Husemann).

Siehe auch: Woche gegen Rassismus
Siehe auch: Rasse im Grundgesetz
Siehe auch: Jüdisches Museum Westfalen (Artikelübersicht)


Quelle: Michael Wallkötter in der DZ vom 16. Febr. 2024

 

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