Zentralstelle Dortmund

Staatsanwälte suchen die letzten NS-Verbrecher und klagen sie an

Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Dortmund

Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Dortmund

Mit letzten zeitlichen Anstrengungen versucht die „Zentralstelle zur Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen“ 70 Jahre nach Ende der NS-Gewaltherrschaft noch Täter von damals aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Oberstaatsanwalt Andreas Brendel von der „Zentralstelle“ in Dortmund ermittelt derzeit in elf aktuellen Fällen gegen mutmaßliche NS-Verbrecher (Stand: Mitte 2016). Eine Spur führt von Dorsten benachbarten Kreis Borken. Dort wohnt ein über 90-jähriger Mann, der im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig Beihilfe zum Mord in mehreren tausend Fällen geleistet haben soll. In seiner Vernehmung stritt er jede Beteiligung ab. Übrigens wurde der Bau des KZs Stutthof von dem Höheren SS- und Polizeiführer Richard Hildebrandt veranlasst, der 1915 am Gymnasium Petrinum in Dorsten das Notabitur machte. Sein Vater war Direktor des Keramitwerks in Holsterhausen. Richard Hildebrandt wurde 1948 in Nürnberg zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und an Polen ausgeliefert, wo er nach einem Prozess 1951 gehängt wurde.

Von 25.000 Beschuldigten verblieben 159 Anklagen und 109 Urteile

Jahrzehntelang verschonte die Justiz in Westdeutschland die Täter. Insgesamt wurde gegen 25.000 Beschuldigte ermittelt. 159 Personen wurden angeklagt und das Gericht stellte 50 Verfahren nach der früher vorgeschriebenen Voruntersuchung ein. Verblieben noch 109 Verfahren, die oft mit milden Urteilen oder Freisprüchen endeten. In der Adenauer-Ära wurden NS-Verbrecher nur nachlässig verfolgt, zum Teil die Ermittlungen von Staatsanwälten selbst sabotiert und strafvereitelt. In der Dortmunder Zentralstelle gab es mehrere Fälle, die als Justizskandale bezeichnet wurden, wie das Beispiel des früheren Leiters der Zentralstelle in Dortmund, Staatsanwalt Klaus Schacht, zeigt. Im Fall des wegen Mordes 1948 von einem tschechischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt SS-Wachmanns Malloth hatte Klaus Schacht Akten nicht bearbeitet, die Ermittlungen verschleppt und das Verfahren wegen des Verdacht des Mordes fälschlicherweise 1988 eingestellt. Malloth war SS-Wachmann im Gestapogefängnis Theresienstadt. Erst 2000 wurde ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt gegen Schacht durchgeführt. Außerdem wurde immer wieder festgestellt, dass gegen NS-Verbrechen ermittelnde Staatsanwälte selbst nationalsozialistisch belastet waren und abgelöst werden mussten.

Anfangs mit 13 Beamten des staatsanwaltschaftlichen Dienstes besetzt

Der Einrichtung von „Zentralstellen“ in den Bundesländern 1958 ging die Gründung der Ludwigsburger Zentralen Stelle voraus, die vor dem Hintergrund des Ulmer Einsatzgruppen-Prozesses von 1957/58 gegründet und großes Aufsehen erregt hatte. Es wurde offensichtlich, dass ein Großteil der NS-Verbrechen noch nicht geahndet worden war. Die Alliierten hatten  nur Verbrechen abgeurteilt, die von Deutschen gegen ausländische Staatsangehörige begangen wurden.
Dortmund war zu Beginn mit 13 Beamten des staatsanwaltlichen Dienstes besetzt. Diese  großzügig gedachte Personalausstattung erwies sich indes rasch als unzureichend, so dass bereits Mitte der 1960er-Jahre insgesamt 22 Beamte des höheren Dienstes beschäftigt waren. 1956 war bei der Staatsanwaltschaft Bochum eine Zentralstelle zur Verfolgung der in Griechenland von deutschen Staatsangehörigen begangenen Kriegsverbrechen gebildet worden. Aufgrund einer Vereinbarung der Justizministerkonferenz bearbeitete die Zentralstelle Bochum die auf Nordrhein-Westfalen entfallenden Verfahren, welche durch die griechische Regierung der Bundesregierung übergeben worden waren. Dies spielte bei der Entscheidung des Justizministeriums zur Errichtung der Zentralstellen eine Rolle, wenn auch der Unterschied evident war: die Zentralstelle in Bochum arbeitete eine fest vorgegeben Anzahl von Verfahren ab, während die Zentralstellen in Dortmund und Köln im wesentlichen auf die weiteren Vorermittlungsverfahren der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ausgerichtet waren, die entgegen der Ansicht der Justizminister im Jahre 1960 keineswegs alle wesentlichen Tatkomplexe bereits bearbeitet hatte.

Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt arbeiten Hand in Hand

Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg gibt ermittelte Fälle an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter. Seit 2010 leitet Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (geb. 1959) die „Zentralstelle zur Verfolgung von nationalsozialistische Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“. In NRW beschäftigen sich zwei Stellen mit der Thematik: Zum einen die bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingerichtete Zentralstelle für die Verfolgung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, zum anderen seit 2005 die Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Düsseldorf (LKA). Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel hält die juristische Verfolgung von NS-Verbrechern trotz geringer Erfolgschancen für wichtig. „Wir sind es den Angehörigen der Opfer und den Opfern selbst schuldig, die Taten aufzuklären.

Beihilfe am Mord von 17.000 Häftlingen – 2016 fünf Jahre Gefängnis

Erst Mitte 2016 wurden neun Ermittlungsverfahren weitergegeben. Vier Männer und vier Frauen im Alter zwischen 88 und 97 Jahren sehen sich nunmehr mit Ermittlungen und möglicherweise mit einer Anklage vor einem Landgericht konfrontiert. Die Arbeit in Dortmund führte bislang zu 1473 Strafverfahren. Darunter auch Anklagen gegen Mehrfachtäter. Im Juni 2016 verurteilte das Landgericht Detmold den früheren SS-Wachmann in Auschwitz, Reinhold Hanning, wegen Beihilfe am Mord von 17.000 Häftlingen zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Das Verfahren fand mediale Resonanz in den USA, in Russland und bis China.

Ermittlungsarbeit der Zentralstellen brach das Verdrängen und Vergessen

Die systematische Ermittlungsarbeit auf dem Gebiet nationalsozialistischer Gewaltverbrechen beendete die Phase des Verdrängens und Vergessens in der bundesdeutschen Geschichte. Den Erfolg dieser Arbeit, die im übrigen durch die Zentralstelle Dortmund auch in den kommenden Jahren fortgeführt wird, nur in Anklagen, Verurteilungen und Strafmaßen zu messen, greift zu kurz. Die Arbeit der Zentralstellen trug wesentlich dazu bei, die Phase des kollektiven Beschweigens zu beenden und in der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit die Bundesrepublik zukunftsfähig zu machen.

Zur Sache: Behörden und Daten im Überblick

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, im Allgemeinen Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, im Behördenverkehr auch Zentrale Stelle genannt, trägt Informationen für staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen gegen NS-Verbrecher zusammen, treibt die staatsanwaltlichen Ermittlungen der Bundesländer voran und bündelt sie. Leiter der Einrichtung ist Oberstaatsanwalt Jens Rommel. Insgesamt beträgt die Zahl der Bediensteten der Zentralen Stelle derzeit noch 19 Personen, darunter neben dem Behördenleiter sechs Dezernenten. Zur Zeit der größten Arbeitsbelastung zwischen 1967 und 1971, als jeweils gleichzeitig mehr als 600 Vorermittlungsverfahren zu bearbeiten waren, betrug der Personalbestand der Zentralen Stelle 121 Mitarbeiter, davon 49 Staatsanwälte und Richter. Sie wurde durch eine Verwaltungsvereinbarung der Justizminister und -senatoren der Länder vom 6. November 1958 gegründet und nahm am 1. Dezember 1958 in Ludwigsburg ihre Arbeit auf. Die Zentrale Stelle selbst hatte keine autonomen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbefugnisse und auch keine Weisungsbefugnis. Die von ihr aufgearbeiteten Fälle wurden zur Entscheidung über eine Anklage an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Sie war eine bedeutende Institution der frühen Bundesrepublik bei der Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen. Erst mit ihrer Gründung begann eine systematische Verfolgung der Untaten. 1961 war die „Zentrale Stelle“ Vorbild für die „Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen“ in Salzgitter. Nicht verwechselt werden mit der „Zentralen Stelle“ sollte die bei der Staatsanwaltschaft Dortmund seit dem 1. Oktober 1961 eingerichtete „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“, bei der es sich um eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit entsprechender Zuständigkeit für das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen handelt.

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