Vestische Verkehrswende

Bis 2030 Fahrgastausweitung von 50 auf 70 Millionen im Kreis ausweiten

Taktverdichtungen, neue XBus-Linien, Beschleunigungsmaßnahmen: So will die Vestische 20 Millionen zusätzliche Fahrgäste gewinnen. Das kostet Geld. Die Politik muss noch mitspielen. Ein voll ausgelasteter Omnibus kann nach Studien, auf die die Vestische verweist, rund 50 Pkw ersetzen. Zudem verbraucht ein Linienbus im Verhältnis zur Anzahl der beförderten Personen erheblich weniger Energie als ein Pkw: Im Schnitt stehen 3,3 Liter pro 100 Personenkilometer beim Bus 6,1 Litern beim Pkw gegenüber.
Die Vestische Straßenbahnen GmbH will ihr Angebot in den nächsten fünf Jahren um 2,8 Millionen Buskilometer (15 Prozent) ausweiten und auf diese Weise die Fahrgastzahlen von derzeit 50 Millionen auf 70 Millionen jährlich steigern. Daher wirbt das Nahverkehrsunternehmen ab 2022 bei Politik und Verwaltung in der Emscher-Lippe-Region um Zustimmung für ein Konzept, dessen Ziele bis spätestens 2030 erreicht werden sollen. Dabei geht es auch um viel Geld. Die Maßnahmen:

  • Mitte August 2022 wird die bereits beschlossene Ausweitung der Stadtbusnetze in Dorsten und Gladbeck umgesetzt.
  • Kreisweit sind Taktverdichtungen auf nachfragestarken Linien geplant. 2023 soll es zum Beispiel im Städtedreieck Recklinghausen/Marl/Herten zu mehr Fahrten kommen. Die Linien 214 (RE – Herten) und 219 (RE – Marl) sollen dann halbstündlich und nicht mehr stündlich verkehren. Ein weiteres Beispiel: Auf den Linien 222 (Marl-Sinsen – Marl Mitte – GE-Buer) und 255 (GE-Buer – Gladbeck) soll es zu Hauptverkehrszeiten einen 15-Minuten-Takt geben.

Für Mitte 2024 ist der Start von zwei weiteren Expressbus-Linien („XBusse“) vorgesehen. Die Vestische hofft, beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) den Zuschlag zu erhalten für den X10 (RE – Datteln – Waltrop – Lünen) und den X57 (Marl – Herten – Herne mit Anschluss an die U35 und damit an die Ruhr-Uni Bochum). Die XBus-Linien werden durch das Land NRW gefördert. Zwei sind bereits im Juni im Kreis Recklinghausen in Betrieb gegangen: der X13, der Datteln und Waltrop über Dortmund-Mengede mit dem Dortmunder Technologiezentrum und dem Universitätscampus verbindet, sowie der X42 (Dorsten – Bottrop – Oberhausen).

  • Zudem will die Vestische ihre Betriebszeiten ausweiten und in weniger stark besiedelten Gebieten die Bedarfsverkehre wie Taxibus oder Anrufsammeltaxi ausbauen. Auch in die Infrastruktur soll investiert werden: Haltestellen werden barrierefrei zugänglich sein, Linienbusse über exklusive Busspuren und durch Ampelvorrangschaltungen schneller vorankommen. Entsprechende Maßnahmen sollen 2024/2025 zum Beispiel umgesetzt werden auf den Strecken des SB 24 (RE – Oer-Erkenschwick – Datteln – Waltrop – Dortmund-Mengede) und des SB 49 (RE – Herten – GE-Buer).

Den Busverkehr mit Radverkehr verknüpfen

An „Mobilstationen“ soll künftig insbesondere der Radverkehr mit wichtigen Buslinien verknüpft werden. Fahrgäste sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Fahrräder dort sicher abzustellen. Diese Stationen sollen in verschiedenen Stadtteilen entstehen und mit elektronischen Tafeln ausgestattet werden, die dem Kunden die Ankunft der Fahrzeuge in Echtzeit anzeigen.

  • Auch der Ticketkauf soll einfacher werden: Ab Ende 2022 können Fahrgäste in den Bussen der Vestischen ihre Tickets kontaktlos mit allen gängigen Bankkarten sowie über das Smartphone erwerben.

Ausweitung kostet 6,8 Millionen Euro jährlich

Der öffentliche Personennahverkehr fährt auch im Vest hohe Verluste ein. Die Gesellschafter der Vestischen (Kreis RE, Bottrop, Gelsenkirchen) müssen bereits heute jährlich rund 27 Millionen Euro aus Steuergeld zuschießen. Die geplante Ausweitung des Angebots werde ab 2024 zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 6,8 Millionen Euro jährlich erfordern, erwartet Holger Becker, Betriebsdirektor der Vestischen. Bei dieser Rechnung geht das Unternehmen bereits von zusätzlichen Fahrgasteinnahmen in Höhe von 3 Millionen Euro pro Jahr aus. Insgesamt will die Vestische (1000 Beschäftigte) im Zuge der Verkehrswende bis zu 120 neue Arbeitsplätze, insbesondere im Fahrdienst, schaffen.

Wasserstoffbusse und synthetische Kraftstoffe

Zur Verkehrswende gehört auch eine Antriebswende. 120 Dieselbusse, die bis 2025 neu angeschafft werden, sollen ausschließlich mit synthetischen, klimaschonenden Kraftstoffen betankt werden. Außerdem werden 2023 fünf Wasserstoffbusse über die Straßen im Vest rollen. In die neue Fahrzeugtechnologie und entsprechende Infrastrukturmaßnahmen (zum Beispiel Wasserstofftankstelle) will die Vestische bis 2025 insgesamt 12 Millionen Euro investieren. Allerdings gibt es hohe Förderquoten von Bund und Land.

Eine Chance für den Nahverkehr im Vest

Der Boom beim 9-Euro-Ticket zeigt, dass die Bevölkerung dem Öffentlichen Personennahverkehr grundsätzlich eine Menge abgewinnen kann. Wenn Anschlüsse und Fahrtdauer stimmen, sind Bus und Bahn eigentlich unschlagbar –selbst bei regulären Preisen. Im Kreis Recklinghausen gibt es in dieser Hinsicht noch deutliche Defizite, was auch mit der geografischen Struktur dieser Region zu tun hat, die sich von der Kompaktheit einer Großstadt doch deutlich unterscheidet. In Zeiten der Klimakrise, besteht die große Chance, das ÖPNV-Angebot auch im Vest deutlich zu verbessern. Nie war Akzeptanz in den zurückliegenden Jahren größer. Die Vestische hat klare Angebote gemacht, Politik und Verwaltung im Kreis Recklinghausen haben längst signalisiert, dieses Konzept auch finanziell mitzutragen. Doch ohne Unterstützung von Bund und Land wird die Verkehrswende, zu der auch klimaneutrale Antriebstechnologien gehören, im Vest nicht gelingen. Ein Beispiel: Diskutiert wird zurzeit über ein dauerhaft vergünstigtes 69-Euro-Ticket, das das 9-Euro-Ticket ab September ablösen soll. Die Gefahr besteht, dass die finanziellen Belastungen auf Dauer auf die örtlichen Verkehrsbetriebe durchschlagen. Das könnte dazu führen, dass Fahrplan-Angebote wieder gestrichen werden müssen. So würde die Verkehrswende ad absurdum geführt.

Buslinien 276 und 278 fahren im Stundentakt – nicht mehr alle 30 Minuten

Wegen Personalprobleme verdünnte die Vestische ab 29. Januar 2024 drei Buslinien in Dorsten aus – und Fahrgäste müssen umsteigen. So verkehrt der Schnellbus 25 (SB 25) montags bis samstags zwischen „ZOB Dorsten“ und „Marl Mitte“ alle 30 statt alle 15 Minuten. Zwischen „Marl Mitte“ und „Recklinghausen Hbf“ blieb der gewohnte 15-Minuten-Takt erhalten. Die Linie 276 fährt montags bis samstags zwischen dem Dorstener Busbahnhof (ZOB) und der Haltestelle Friedensplatz im Stundentakt statt alle 30 Minuten. Alle bislang durchlaufenden Busfahrten der Linie 276 zwischen Östrich und Friedensplatz enden künftig am „ZOB Dorsten“. Auch die Linie 278 fährt montags bis sonntags zwischen ZOB Dorsten und „Wennemarstraße“ beziehungsweise „Kreskenhof“ in Holsterhausen alle 60 Minuten statt wie bisher alle 30 Minuten unterwegs sein.

  • VVR: Mobilitätseinschränkungen in NRW. Viele Bus-, Straßenbahn- und Stadtbahnhaltestellen in Nordrhein-Westfalen sind noch nicht barrierefrei. Allein im Gebiet des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) ist nur etwa jede dritte Haltestelle für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet. Laut einer VRR-Abfrage liegt die Barrierefreiheit der Haltestellen im Verkehrsverbund bei etwa 36 Prozent. Mit einer Quote von 93 Prozent Barrierefreiheit ist Oberhausen Spitzenreiter, gefolgt von Krefeld mit 66 Prozent. Schlusslichter sind Remscheid, Solingen, und der Kreis Kleve, wo nur 16 bis 19 Prozent der Haltestellen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet sind (dpa).

Siehe auch: Vestische Straßenbahnen (Essay)
Siehe auch: Vestische Kleinbahnen


Quelle: Michael Wallkötter in DZ vom 18. Juli 2020

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone

Kein passender Begriff gefunden.