Tierwohl-Initiative

Bundeslandwirtschaftsminister will „Tierwohl“-Kennzeichen einführen

Ab 2023 soll es nach dem Willen des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir ein staatliches Tierwohlkennzeichen geben, das für die Anbieter von frischem oder tiefgekühltem Fleisch verpflichtend sein soll. Ein entsprechendes Gesetz will der Grünen-Politiker bis zum Jahresende durch den Bundestag bringen. Er setzt darauf, dass die Verbraucher sich dann häufiger für den Kauf von hochwertigem Fleisch entscheiden und dass Landwirte bessere Bedingungen für die Tiere in den Ställen schaffen.

„Wir Landwirte sind zu Veränderungen bereit“, zitierte die „Dorstener Zeitung“ die Lembeckerin Regina Böckenhoff, Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Recklinghausen. „Aber in der Politik wird seit Jahren über dieses Thema diskutiert, ohne dass wir weitergekommen sind.“

Viele Höfe im Vest haben sich der „Initiative Tierwohl“ angeschlossen

In den Eckpunkten für das Gesetz, das der Minister vorgestellt hatte, geht es um ein fünfstufiges Modell: Es reicht von der niedrigsten Haltungsform („Stall“), in der die Landwirte nur die gesetzlichen Mindeststandards erfüllen, bis zur Eingruppierung als Biobetrieb. Regina Böckenhoff (Foto) sieht in dieser Auflistung Gemeinsamkeiten mit den Haltungskennzeichen, die der Einzelhandel schon vor Jahren eingeführt hat, um die Verbraucher zu informieren. Viele Höfe auch im Kreis Recklinghausen hätten sich bereits der  „Initiative Tierwohl“ angeschlossen – einem Zusammenschluss von Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel. Sie hätten in ihre Ställe investiert und zum Beispiel für mehr Platz, Licht und Abwechslung für ihre Tiere gesorgt.

„Zielkonflikt zwischen Immissionsschutz und Tierwohl“

Weitergehende Pläne, zum Beispiel die Öffnung der Ställe für mehr Frischluft, scheitern mitunter daran, dass es keine Genehmigung dafür gibt, was von Landwirten als Zielkonflikt zwischen Immissionsschutz und Tierwohl angesehen wird. Offen bleibt bislang auch, wie Cem Özdemir die Landwirte dazu bringen will, ihre Ställe umzubauen. Die eine Milliarde Euro, die im Bundeshaushalt bis 2026 vorgesehen ist, reicht auch nach seiner eigenen Einschätzung nicht aus. Experten haben den Finanzbedarf für eine nachhaltige Nutztierhaltung auf mehr als drei Milliarden Euro jährlich beziffert. Die Kommission hatte eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch oder eine Tierwohlabgabe von 40 Cent je Kilogramm Fleisch angeregt. Das wäre auch aus Sicht der vestischen Landwirtschaft ein tragfähiger Konsens. Doch die Diskussion darüber stockt.

Die Stimmung auf den Höfen ist sehr angespannt

Die Stimmung auf den Höfen ist angespannt (Stand: Mitte Juni 2022). Die Erlöse für landwirtschaftliche Produkte können die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Kostensteigerungen für Düngemittel, Diesel und Energie nicht mehr auffangen. Viele Betriebe resignieren, so die Verbandsvorsitzende Böckenhoff. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht an einen Punkt geraten, wo wir uns nicht mehr selbst mit Lebensmitteln versorgen können, das schafft neue Abhängigkeiten von anderen Ländern“, warnt die Landwirtin in der Lokalzeitung.

922 Landwirtschaftsbetriebe im Kreis Recklinghausen

Der landwirtschaftliche Kreisverband Recklinghausen umfasst den Kreis Recklinghausen und die kreisfreien Städte Bottrop und Gelsenkirchen. Ihm angeschlossen sind 922 Betriebe, die im Voll- und Nebenerwerb geführt werden. Die Tierhaltung spielt im Kreisverband eine große Rolle: Von den 922 landwirtschaftlichen Betrieben im Bereich des Kreisverbandes (Kreis RE, Bottrop, Gelsenkirchen) betreiben 566 (61,4 Prozent) Tierhaltung – mit unter anderem 180.000 Schweinen und 33.500 Rindern. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wolle nach eigenen Worten zwar gelernt haben, dass Kreislaufwirtschaft in der Landwirtschaft nur mit der Tierhaltung funktioniere. „Aber er erkennt nicht an, dass die Tierhaltung eine Perspektive braucht, wenn sie nicht als entscheidendes Element der Kreislaufwirtschaft wegbrechen soll“, betonte Regina Böckenhoff (Foto) auf dem Kreisverbandstag.

Landwirte im Kreis Recklinghausen fühlen sich im Stich gelassen

Kein Verbraucher würde etwas dagegen haben, dass es Schweinen und Rindern in ihren Ställen besser geht. Doch beim Einkauf, das haben Studien ergeben, greift dann doch die große Mehrheit der Kunden zu den Sonderangeboten mit wenig Tierwohl. Für Landwirte ist Tierwohl nicht nur eine moralische, sondern vor allem auch eine betriebswirtschaftliche Frage. Solange keine höheren Preise durchgesetzt werden können, heißt es in der Branche, könne der Bauer nicht auf Haltungsformen umstellen, bei denen die Produktion teurer ist.
Die Landwirte im Kreis Recklinghausen sind erbost, dass in dieser Frage seit Jahren Stillstand herrscht in Deutschland. Dabei hat eine nach dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert benannte und von ihm geleitete Kommission schon vor drei Jahren „in einem schlüssigen Konzept Wege aufgezeigt, wie der Umbau zu mehr Tierwohl gelingen kann, auch wenn der Markt das allein nicht hergibt“, sagte Regina Böckenhoff, Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Recklinghausen, beim Kreisverbandstag ihrer Organisation im Restaurant Seehof in Haltern im Dezember 2023. Dass die Borchert-Kommission ihre Arbeit jetzt niedergelegt hat, sei „bitter, aber nicht überraschend“. Der Geduldsfaden sei einfach gerissen. Im Grunde genommen geht es um eine staatliche Investitionsförderung, weil Stallbauten für artgerechte Haltung im Bau teurer sind, denn sie brauchen mehr Fläche pro Tier, Frischluftzufuhr und Auslauf. Wie der Umbau der Ställe für eine artgerechte Haltung gefördert werden soll, darüber gibt es auch in der jetzigen Bundesregierung keine Einigung. Die Landwirte benötigten für Investitionen jedoch langfristige Planungssicherheit, so die Verbandsvorsitzende. Die Borchert-Kommission hatte eine Summe von jährlich vier Milliarden Euro errechnet, um die Tierhaltung in Deutschland umzubauen. Zur Diskussion steht aktuell auch eine „Tierwohlabgabe“ von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. Ab 2024 gilt eine verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung, die ein bislang freiwilliges System der Haltungsformen ersetzen soll. Sie hat fünf Stufen – aber aus der Sicht der vestischen Landwirte das große Manko, dass die Kennzeichnungspflicht vorerst nur für frisches Schweinefleisch gilt und auch nicht für verarbeitete Lebensmittel. „Auch eine Herkunftskennzeichnung fehlt noch“, kritisiert Regina Böckenhoff. Handel und Erzeuger seien deshalb mittlerweile so weit, in Eigeninitiative ein Label mit dem Namen „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“ herauszubringen. „Wir haben erkannt“, so die Dorstener Landwirtin, „dass wir in dieser Bundesregierung in puncto Tierwohl keinen hundertprozentig verlässlichen Partner finden können.“

Allgemeine Information zum Thema „Initiative Tierwohl“

Die Initiative Tierwohl (ITW) ist ein branchenübergreifendes Bündnis der deutschen Fleischindustrie, welches die Lebensqualität von Tieren der konventionellen Geflügel- und Schweinezucht durch finanzielle Unterstützung fördern soll. Sie wurde im Jahr 2015 aus einem Förderprogramm für Tierwohl gegründet. Sie sieht sich als Kontrollsystem, Siegelherausgeber der Haltungsform und des eigenen Produktsiegels und fungiert als Innovationsförderung. Ziel der Initiative ist es, Verantwortung für Tierhaltung, Tiergesundheit und Tierschutz in der Nutztierhaltung zu schaffen, indem sie eine schrittweise Verbesserung der konventionellen Landwirtschaft anstrebt. Um dies zu erreichen, arbeitet die Initiative mit verschiedenen Partnern aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie zusammen. Bis Ende 2020 finanzierten die teilnehmenden Lebensmitteleinzelhändler das System der ITW durch einen Fonds, der die Entschädigungen der teilnehmenden Tierhalter ausglich. Die Lebensmitteleinzelhändler zahlten pro Kilo verkauftem Geflügel- oder Schweinefleisch 6,25 Cent in den Fonds. Seit Januar 2021 gilt diese Art der Finanzierung nur noch in der Ferkelaufzucht. Für die anderen Bereiche der Initiative erfolgt eine Marktfinanzierung. Alle beteiligten Handelspartner zahlen einen Preisaufschlag an die Lieferanten aus, der über die Lieferkette bis an die Tierhalter gelangen soll. Außerdem gibt es eine Teilnahmegebühr, die direkt von den Teilnehmern an die Trägergesellschaft der Initiative Tierwohl pro verkauftem Kilogramm Fleisch und Fleischwaren gezahlt wird. – Foto: Tierwohllabel.

Siehe auch: Regina Böckenhoff


Quellen: Wikipedia (tierwohl), Aufruf 2022. – DZ vom 13. Juni 2022. – Lokaler Textteil entnommen Michael Wallkötter in DZ vom 11. Dez. 2023.

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Dieser Beitrag wurde am veröffentlicht.