Schiffbauerhandwerk

Werkstätten an der Lippe im steten Auf- und letztlich im Abschwung

Werkstatt Ratte um 1890

Werkstatt Ratte um 1890

Dorsten hat eine alte Schiffsbauertradition. Durch einen Brand im Siebenjährigen Krieg wurden 1761 fast sämtliche frühen Dokumente vernichtet, die über das tatsächliche Alter dieses Handwerks in Dorsten Auskunft geben könnten. Deshalb reichen die frühesten urkundlichen Nachrichten nur bis 1748 zurück, als sich die Schiffbauer von der Zunft der Zimmerleute trennten. Familiennamen bezeugen das frühzeitige Vorkommen der Schiffsbauer: Johann Scepmecker (1479), Jan Schepmecker (1605), Ambrosius Schiffmecher (1621) und Klaus Schepmacher (1640). Durch die große Bedeutung des Schiffbaus für die Stadt wuchsen auch Ansehen und Selbstbewusstsein der Schiffbauer. Mit der Trennung von den Zimmerleuten wurde 1748 ein Schiffbaueramt mit „Nottuln“ (Regeln) eingerichtet, in dem 13 Schiffbaumeister vereinigt waren. Ihre „Stellungen“ (Werkstätten) befanden sich auf stadteigenem Gelände am südlichen Lippeufer („Lippetal“). Bis 1783 wurden die Uferplätze den Schiffbauern unentgeltlich zur Verfügung gestellt, danach mussten sie 25 Taler jährlich zu Martini entrichten. Noch im selben Jahr wurde das Schiffbaueramt vom Rat der Stadt mit der Begründung wieder aufgelöst, da die Schiffbauer „nur auf Saufen und Schlemmerey“ aus seien.

1794 waren in den Dorstener Betrieben noch 80 Meister beschäftigt

Darstellung des Schiffbauerhandwerks in Dorsten (Bild hing im Heimatmuseum)

Darstellung der Schiffbauer im früheren Heimatmuseum

Rapide Auftragsrückgänge bei gleichzeitigem Anstieg der Meisterstellen waren die Folge. 1791 gab es 37 Meister und 45 Gesellen, das Qualitätsbewusstsein ging verloren. Hinderlich für den Schiffbau waren auch die Kriegswirren am Rhein seit 1786, dem Hauptabsatzgebiet der Dorstener Schiffe. Um Ordnung in das Schiffbauergewerbe zu bringen, stellte 1786 Kurfürst Maximilian Franz Regeln auf. Die Stadt verzichtete ab 1792 auf Stellplatz-Mieten, um das Gewerbe zu fördern. Diese Bemühungen führten zu erneutem Aufschwung des Dorstener Schiffsbaus. 1794 waren in Dorsten 80 Meister, Gesellen und Lehrlinge beschäftigt. Nachdem die napoleonischen Kriege das Schiffbauerhandwerk wieder fast zum Erliegen gebracht hatten, weist ein Arbeitsverzeichnis 1828 noch 27 Namen auf.

1899 gab es an der Lippe in Dorsten nur noch neun Schiffbau-Meister

Schiffbauer ..................

Eine der letzten Schiffbauerbetriebe um 1920

Im Jahr 1829 wurden 500 Lippeschiffe gebaut, 1836 waren es 617 und 1861 nur noch 163. Namhafte Schiffbauer waren Leygraf, Zirkel, Lieber, Dückerhoff, Isselborg, Albers, Stewing, Ratte, Schulte-Rover, Hülsken, Scholwen und Tendrich. Durch preußische Maßnahmen zur Intensivierung der Lippeschifffahrt in den 1820er-Jahren wurde der Schiffbau nochmals entscheidend gefördert, 1831 waren 100 Personen beschäftigt, 1870 sogar 140, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Blütezeit des Dorstener Schiffbaus längst überschritten war. Ab 1851 beschäftigten die beiden Werften Cirkel und Leygraf je 40 Schiffbauer, die noch große Schiffe bauen konnten, was den vielen kleinen Familienbetrieben nicht mehr möglich war. 1888 gab es noch neun Meister und 20 Gesellen, die allerdings nur noch kleine Nachen bauten, denn die stärker werdende Versandung der Lippe führte 1876 zur völligen Einstellung der Frachtschifffahrt. Frachten wurden über die Schiene und auf der Straße befördert. 1907 waren nur noch 17 Personen im Schiffbau beschäftigt, die bis in die 1960er-Jahre den Dorstener Flieger herstellten (siehe Dorstener Aak; siehe Dorstener Flieger; siehe Dorstener Schiff). Paul Ahrens war der letzte Dorstener Schiffbauer, der 2003 im Lippetal sein letztes Schiff präsentierte.

Stapellauf eines Schiffs an der Lippe

Peter Wessels beschrieb in der Vestischen Zeitschrift von 1930 den Stapellauf eines in Dorsten gebauten Schiffes:

„In Schiffertracht begab sich der Erbauer mit seinen Leuten zur Pfarrkirche, um bei der Messe einen glücklichen Stapellauf zu erflehen. Im geschlossenen Zuge ging’s nach dem Gottesdienst zum Lippetal, wo schon die anderen Schiffsbauer und viele Bürger der Stadt versammelt waren. Nicht selten ging auch ein Priester mit den Chorknaben mit, um das Schiff einzusegnen. – Die vorbereitenden Arbeiten waren schon am Tag vorher erledigt worden. Quer zum Fluss hatte man dicke Eichenstämme den Abhang hinabgelegt, die durch Beschmieren mit Seife, Teer und Wasser glitschig gemacht waren. Davor stand das fertige Schiff in der Richtung des Flusses. Nun traten die Schiffbauer unter Anführung des Erbauers an ihre Plätze; dieser gab das Zeichen zum Niederknien, und laut wurde ein Vaterunser gebetet. Man erhob sich, setzte die Winden an, und auf den Befehl: „Wind ob, wind ob, öwerall, öwerall!“ wurde das Schiff auf die oberen Eichenstämme gehoben. Dann ließ man die Winden fallen, kräftig wurde nachgedrückt, und das Schiff sauste die abschüssige Bahn hinab in den Fluss. Nun erfolgte die Einsegnung und Taufe desselben. Zum wohlverdienten gemütlichen „Zech“ versammelte man sich in der Stellung; eine Tonne Bier ward herbeigeschafft, und bis zum Sonnenuntergang herrschte auf dem Lippetal fröhliches Leben und Treiben. In den Abendstunden fanden sich Schiffbauer und Arbeiter in den Schifferkneipen Rittkötter und Duesberg zusammen.

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