Missbrauch / Kinderpornografie im Netz

Internet-Seiten: Ermittlungsverfahren haben sich im Jahr 2022 versechsfacht

Im Kampf gegen Kindesmissbrauch haben die Sicherheitsbehörden in NRW immer mehr Fälle zu bearbeiten. Im Jahr 2021 hatte es auf das ganze Jahr gerechnet 4046 Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige gegeben; 2022 waren es 8713. Die Fälle haben sich mehr als verdoppelt. Noch dramatischer ist die Steigerung bei den Verfahren gegen unbekannte Tatverdächtige. 2021 gab es 346 Verfahren, ein Jahr darauf 2156 Verfahren – das hatte sich somit mehr als versechsfacht. Das ist schon deutlich und uns eine Verpflichtung, mit genau dieser Intensität die Ermittlungen fortzuführen“, betonte Hartmann, den der deutliche Anstieg selber überrascht hat.
Mit der Ermittlungsgruppe „Zac NRW“, die bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt ist, hat sich als bundesweit größte Cybercrime-Einheit der Justiz etabliert. Ihr obliegt die Verfahrensführung in herausgehobenen Ermittlungen im Bereich der Cyberkriminalität. Sie gilt als internationale Größe. Nordrhein-Westfalens ehemaliger Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hatte die Strafverfolgungsbehörde während seiner Amtszeit massiv ausgebaut. Experten erklären den enormen Anstieg der Verfahren auch durch eine verbesserte Organisation der Strafverfolgungsbehörden wie etwa die Einrichtung der Task Force bei der Zac NRW, wodurch viel mehr Fälle aus dem sogenannten Dunkelfeld aufgeklärt werden könnten. Somit sind die Ermittlungsmechanismen effektiver geworden.

Viele Täter werden „digital naiv“ eingestuft

In ungefähr 40 Prozent aller gemeldeten Fälle handelt es sich laut Zac NRW um Täter, die als „digital naiv“ einstuft werden. Das sind Leute, die gar nicht wegen eines pädokriminellen Interesses kinderpornografische Bilder posten, sondern etwa in WhatsApp-Gruppen aus falschverstandenem Humor vermeintlich witzige, tatsächlich aber strafbare Inhalte versenden.  Der Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch bleibt ein Schwerpunkt der Polizei in NRW. Laut Innenministerium ist das Polizeipersonal zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie in NRW seit 2017 von 100 auf 500 Mitarbeiter verfünffacht worden. Darüber hinaus sind viele Millionen Euro in IT-Technik in diesem Bereich geflossen, etwa für bessere Sicherung, Aufbereitung und Auswertung der großen Datenmengen. So wurden Hochleistungsrechner angeschafft und ein „Forensic Desktop“ geschaffen, der Polizisten aus verschiedenen Behörden ermöglicht, am gleichen Fall zu arbeiten und sich zu vernetzen.
Trotz des personellen und technischen Ausbaus erhalten die deutschen Ermittlungsbehörden die mit Abstand meisten Hinweise auf die Täter aus den USA. Das liegt daran, dass der größte Teil der Internetservices in der Hand US-amerikanischer Unternehmen ist. Täter laden etwa entsprechende Bilder bei Microsoft, Google oder Amazon in eine Cloud. In den USA werden diese Clouds regelmäßig nach kinderpornografischen Bildern gefiltert. Sobald es Verdachtsfälle gibt, werden diese von den Konzernen an das US-National Center for Missing & Exploited Children gemeldet. Und dort wird dann sortiert, auf welche Länder das entfällt und an diese übermittelt. Die US-Amerikaner erwarten für 2023 sogar noch einen weiteren Anstieg der Fälle um mindestens 30 Prozent.

Gesetz gegen Missbrauchsdarstellungen: Offensichtlich nicht mitgedacht

Noch im Jahr 2023 will Bundesjustizminister Marco Buschmann einen Vorschlag für eine Reform des erst vor rund zwei Jahren geänderten Gesetzes zu Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorlegen. Das Hauptziel des Gesetzes zur Bekämpfung von Verbreitung, Erwerb und Besitz sogenannter Kinderpornografie – die deutliche Strafverschärfung – werde bei der von ihm geplanten Reform des entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuches nicht angetastet, betonte Buschmann. Offensichtlich seien bei der Strafverschärfung von 2021 nicht alle möglichen Fallkonstellationen mitgedacht worden. „Entdeckt beispielsweise ein Elternteil in einer Whatsapp-Gruppe des Kindes ein solches Foto und schickt es an die Eltern des ursprünglichen Absenders, um zu fragen, was da los ist, würde das aktuell unter die Verbreitung solcher Inhalte fallen“, erklärte der Justizminister. Das könne nicht Sinn und Zweck der Regel sein. Gleiches gelte etwa für eine Lehrerin, die solche Fotos in einem Klassen-Chat entdecke, speichere und an die Schulleitung weiterleite.
Sein Ministerium sei nun dabei, ein Konzept zu erstellen, wie eine Reform gesetzgeberisch so aufgesetzt werden könne, dass die Justiz wieder den nötigen Spielraum erhalte, um allen Einzelfällen gerecht zu werden. „Mein Ziel ist es, dieses Konzept noch in diesem Jahr fertigzustellen“, fügte er hinzu. Die Änderung sei notwendig, auch damit die Justiz Zeit und Ressourcen gewinne, um sich auf die Fälle zu konzentrieren, „um die es uns allen ja wirklich geht“. (dpa)

Siehe auch: Missbrauch (Artikelübersicht)


Quelle: Christian Schwerdtfeger in DZ vom 13. Febr. 2023

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