Spione für Frankreich

Zwei gefährliche Spitzel in Holsterhausen entdeckt

Von Wolf Stegemann – 1922 war die Zeit, als im Rheinland politische Bestrebungen im Gang waren, im Sinne der Franzosen das Rheinland von Preußen und Deutschland zu trennen und eine selbstständige völkerrechtlich anerkannte Rheinische Republik ins Leben zu rufen. Hinter dem Begriff Rheinische Republik steht die kurzlebige Staatsgründung separatistischer Bewegungen im Rheinland der Jahre 1922/23. Die Angehörigen der Gruppierung wurden Separatisten oder Freibündler genannt. Die Ereignisse betrafen die belgisch und französisch besetzten Gebiete des westlichen Deutschen Reiches. Anhänger verschiedener separatistischer Vereinigungen brachten ab dem 21. Oktober 1922 einige rheinische Stadt- und Gemeindeverwaltungen teilweise mit militärischer Hilfe der Besatzungstruppen unter ihre Kontrolle. Der französische Hochkommissar und Präsident der Rheinlandkommission, Paul Tirard (1879 bis 1945), erkannte die als Resultat einer politischen Revolution interpretierte Herrschaft der Separatisten am 26. Oktober als legitime Regierung an. Ministerpräsident war der Redakteur Josef Friedrich Matthes (1886 bis 1943 KZ Dachau), Regierungssitz war Koblenz. Die direkte Herrschaft der Separatisten endete schon am 20. November 1923. Etwa zeitgleich und ebenfalls in den besetzten Gebieten fand die Ruhrbesetzung statt. Auch Dorsten, Holsterhausen und Hervest-Dorsten waren davon betroffen.

Ausriss aus dem Polizeibericht

Ausriss aus dem Polizeibericht

Graf von der Schulenburg als Separatist in französischen Diensten

Die Stadt Dorsten und die damals noch selbstständige Land- und Industriegemeinde Holsterhausen hatte mit den Separatistenträumen der Rheinländer nichts zu tun, dennoch gab es einen berichtenswerten Vorfall sowohl in Holsterhausen als auch in Wulfen, der mit der „Rheinischen Republik“ in Zusammenhang stand.

Graf von der Schulenburg, der in Beuel wohnte, das heute zu Bonn gehört, war Anhänger jener Rheinischen Republik und stand im Verdacht, für die Abtrennung des Rheinlandes im Dienste der Franzosen zu stehen, für sie zu spionieren sowie „Specialdienste“ zu verrichten. Darunter verstand das Reichsinnenministerium, Schulenburg würde unter den honorigen Familien des Rheinlandes für die „Rheinische Republik“ werben und im Untergrund gegen die Integrität des Deutschen Reiches arbeiten. Diesen Verdacht gegen den Beueler Grafen von der Schulenburg gaben seine „Handlanger“ Kress und Heinrich Schmunk zu Protokoll der Polizeibehörden. Ob es nun einen Haftbefehl gegen Schulenburg selbst gab, ist hier nicht bekannt. Doch fertigten die Behörden ein – wie man heute sagt – Profil des verdächtigen Grafen an, das sie am 8. September 1922 an die untergeordneten Polizeidienststellen weiterleiteten, über den Oberpräsidenten von Westfalen an die Landräte und Oberbürgermeister, den Landrat von Recklinghausen bis hin am 9. bzw. 10. Oktober 1922 zu den Ortsbehörden in Dorsten und Wulfen. Mit diesem Schreiben wird aufgefordert, die sich zwischen dem Rheinland und Westfalen aufhaltenden Personen Kress und Schmunk festzunehmen.

Zwischen Hervest und Holsterhausen verhaftet

Diese beiden Handlanger des Separatisten Schulenburg wurden am 5. November 1922  in Holsterhausen auf offener Straße ohne Beanstandungen kontrolliert, da sie sich mit französischen Polizeiausweisen als Kriminalbeamte legitimieren konnten. Erst als der kontrollierende Gendarm bei Dienstschluss im Kommissariat an der Pliesterbecker Straße sein Tagesprotokoll schrieb, fiel ihm vermutlich beim Lesen der an die Polizeistellen gesandte Warnung vor den beiden namentlich genannten Agenten auf, wen er da kontrolliert hatte. Denn er meldete dies sofort weiter. Amtsbürgermeister Kuckelmann ließ als Polizeibehörde sofort nach den beiden Kontrollierten aktiv fahnden. Schließlich wurden sie bereits am anderen Morgen um 9.30 Uhr von einer Fahrradstreife zwischen Holsterhausen und Hervest in ihrem Automobil – in Decken eingehüllt – schlafend vorgefunden. Kress und Schmunk ließen sich widerstandslos festnehmen. Kress trug eine Pistole bei sich und beide hatten ebenfalls die von den Franzosen ausgestellten Ausweise in den französischen Farben bei sich, die sie als Kriminalbeamte auswiesen. – Was weiter mit den beiden festgenommenen Personen und mit dem Graf Schulenburg geschah, geht aus der lückenhaften Polizeiakte nicht hervor.

Leistete Graf von der Schulenburg Spitzeldienste für die Franzosen?

Flugblatt warnt vor Spionen

Flugblatt von 1924 warnt vor Spionen

Lediglich gibt es noch eine Einschätzung, wie es zum Verdacht gegen Graf von der Schulenburg kam und welche Rollen seine Handlanger Kress und Schmunk hatten. Der Verdacht gegen Schulenburg hatte Quellen, die nicht genannt sind. In der Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse steht lediglich, wer von den verdächtigen Personen „öffentlich bekannt“ sei. „Weiter ist in weiten Kreisen bekannt, dass er homosexuell veranlagt ist.“ Auch heißt es in der den Polizeibehörden zugeschickten Zusammenfassung:

„Der Kress […] hat […] gesagt, […] dass der Graf v. d. Schulenburg tägl. 15 frcs. von den Franzosen für Spezialdienste erhalte. Der Gastwirt Pierot, Besitzer des Restaurants ,Alt Bonn’ im Cassiusgraben, soll nach Aussage des Kress ebenfalls 15 frcs. täglich beziehen. Tatsache ist, dass bei Pierot vorwiegend Franzosen ein- und ausgehen. Heinrich Schmunk, Schlosserstraße 38, Bonn, nennt sich Dr. jur. Er treibt Propaganda für Smeet und Dorten (ist bestimmt nachgewiesen). Ferner steht Schmunk unter französischem Schutz, dies hat er selbst geäußert.“

Weiter ist zu lesen, dass Heinrich Schmunk bei Beendigung des Ersten Weltkriegs von Maria Laach aus als Geistlicher auftrat und wegen eines „Sittlichkeitsverbrechens zu einem Jahr Gefängnis verurteilt“ war. Als „Geistlicher“ wohnte er in einem Bonner Frauenkloster in der  Maargasse, bis ihn die „Schwestern verwiesen“. Später trat er als „Winkeladvokat“ auf. Schmunk diente sich nach etlichen krummen Baumaterialiengeschäften, die der Interalliierten Kommission auffielen, den Franzosen als Spion an. „Schmunk ist sehr wahrscheinlich einer der gefährlichsten Spitzel der französischen Besatzung.“

Zehn Jahre in der französischen Fremdenlegion

Über Kress, der sich als Elsässer ausgab, („genaue Personalien sind nicht festzustellen“) steht in der Festnahme-Aufforderung, dass er Soldat in der deutsche Armee war und 1907 von einem hessischen Regiment desertierte, für zehn Jahre in die französische Fremdenlegion ging und gegen Deutschland kämpfte. „Heute treibt er Spionage in Bonn, Mainz, Frankfurt, Köln, überhaupt in den Rheinstädten. Er ist beobachtet worden, als er ein Mädchen aus Duisburg angesprochen und ihr eine Stelle angeboten hat. […] Es ist ohne Zweifel, dass er Mädchenhandel treibt. Eine weitere Tätigkeit von ihm ist, für die Fremdenlegion zu werben. In Bonn fehlen eine ganze Anzahl junger Burschen. […] Ferner leistet Kress Spitzeldienste (auch für den Grafen v. d. Schulenburg). Er geht sehr locker mit dem Gelde um.“ Für Auskünfte versprach Kress lt. Polizeibericht „Kohlen, Briketts, Lebensmittel und Geld“. Weiter heißt es: „Kress trägt eine geladene Pistole bei sich, weil er französischer ,Kriminalbeamter’ ist […] und im Besitze des blau-weiß-roten Ausweises […].“ – Wie die Polizeibehörde in Wulfen mit den beiden so charakterisierten Festgenommenen, Kress und Schmunk, verfahren ist, geht aus der Akte leider nicht hervor.

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