Dorstener Drahtwerke

Der produzierte Draht konnte monatlich die Erdkugel 20 Mal umwickeln

Die 1918 in Hemer von Heinrich Wilhelm Brune gegründete Spezialdrahtzieherei etablierte sich 1921 in Dorsten, als Brune die alte Papierfabrik Bagel an der Marler Straße erwarb, deren Vorgänger-Betrieb die Barloer Mühle war. Hier gab es im Gegensatz zum früheren Standort in Hemer genügend Wasser und vor allem Arbeitskräfte. Die Fabrik nannte sich nun „Dorstener Drahtzieherei“.

Fabrikationshallen

Dorstener Drahtwerke, Fabrikationshallen (Archiv-Drahtwerke)

Nach 1945 das Unternehmen modernisiert und erweitert

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der zerstörte und ausgeplünderte Betrieb wieder aufgebaut werden und 1954 erzielten die Drahtwerke bereits einen Umsatz von zwei Millionen DM, drei Jahre später drei Millionen DM. Durch Modernisierung und Erweiterung kletterte der Umsatz Ende der 1980er Jahre auf 15 Millionen DM. Nach dem Tod des Firmengründers kaufte dessen Tochter Charlotte alle Firmenanteile auf und ihr Sohn Werner Tüshaus (1930 bis 2011) übernahm die Firmenleitung. Er achtete darauf, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Mit der Internationalisierung des Unternehmens ging auch eine Spezialisierung des Produktportfolios einher. Dorstener Drahtprodukte finden sich unter anderem in Broschüren, Autos, Flugzeugen und in der Medizintechnik. Pro Jahr produziert das Unternehmen rund 3,2 Millionen Kilometer Draht. Damit ließe sich die Erde knapp 80-mal umwickeln. Die Söhne Volker und Rüdiger Tüshaus bauten die Dorstener Drahtwerke (Nutzfläche 3.270 qm) zu einer internationalen Unternehmensgruppe aus. Zur DDD Group of Companies, die ihren Sitz an der Marler Straße hat, gehören heute: Dorstener Siebtechnik GmbH, Dorsten Träd (Schweden), Dorsten Wire Tech (USA), MDL s.r.o. (Tschechische Republik), intervenispa dorstener s.l. (Spanien), Butexco Trading (Frankreich), Performalles S.A. (Chile), Shanghai Bao Zhang (China/Dorsten), T&R engineering GmbH (Hamm), Curt Ebert Siebtechnik GmbH (Dortmund) und Filserius (Spanien). 2010 kam eine weitere Neugründung mit dem Drahtzieher-Unternehmen Fehmi Eksi dazu, das nun zusammen mit den Dorstener Drahtwerken als neu gegründete Gesellschaft Eksi Dorstener Drahtwerke GmbH (EDD) in Altena firmiert. 18 Unternehmen in Europa, Asien, Nord- und Südamerika gehören heute dazu.

Ausgezeichnet, weil nicht in Niedriglohnländern produziert

Die weit gefächerte Produktpalette der Drahtwerke-Unternehmen umfasst Stahldrähte, Heftdrähte, Siebe, Drahtgewebe, Schweißgitter und hochwertige Wellengitter für Architektur und Design. 2008 wurde das Führungsduo der Drahtwerke, die Brüder Rüdiger und Volker Tüshaus, von der „Dorstener Zeitung“ zu Unternehmern des Jahres 2008 gekürt. Damit zeichnete die Jury zwei Unternehmer aus, die nicht in Niedriglohnländern, sondern im heimischen Dorsten produzieren lassen, und mit Geschick ein mittelständisches Unternehmen fest im Weltmarkt etabliert haben, das 2010 insgesamt 220 Mitarbeiter beschäftigte, davon 192 in Dorsten. 2015 übernahmen die Drahtwerke große Teile des insolventen Unternehmens Diegner & Schade in Dorsten (siehe Tüshaus, Werner).
Ihr Ansatz einer kundennahen und serviceorientierten Bearbeitung internationaler Märkte erwies sich als richtig: Drahtwerke und DDD-Gruppe machten 2017 zusammen rund 65 Millionen Euro Umsatz – so viel wie noch nie in der Firmengeschichte. Seit mehr als zehn Jahren sind an den Standorten Marler Straße und Werrastraße im Industriepark Dorsten/Marl konstant zwischen 100 und 110 Mitarbeiter angestellt. Viele von ihnen arbeiten mit neuester Technik. „Ich glaube schon, dass wir einen der modernsten Drahtfertigungsbetriebe Deutschlands haben“, sagt Volker Tüshaus. Weltweit beschäftigt die DDD-Gruppe knapp 400 Mitarbeiter.

Drahtwerke investieren rund vier Millionen Euro in die Expansion

Die Dorstener Drahtwerke stecken seit vielen Jahren in einem Dilemma. Am Stammsitz an der Marler Straße ist kein Platz mehr, deshalb weichen die Drahtwerke jetzt zum zweiten Mal in die unmittelbare Nachbarschaft aus. An der Werrastraße im Industriepark Dorsten/Marl, streng genommen auf Marler Gebiet, ist eine neue Produktionshalle von 3.600 Quadratmetern Größe entstanden, direkt neben einer gleichgroßen Produktionsstätte, die bereits 2008 gebaut wurde. Rund vier Millionen Euro investierten die Dorstener Drahtwerke diesmal in die neuerliche Expansion. Das Richtfest fand im September 2021 statt. Gleich nebenan im Indupark wird seit 2008 produziert. Auf dem Dach wurde eine Photovoltaikanlage Installiert produziert seit Jahresende 2022 grünen Strom. In den Werke Dorsten und Marl sind etwa 140 Mitarbeiter beschäftigt.

Nummer 44 auf der Liste der Zahlungsverweigerer

Im Zweiten Weltkrieg beschäftigten die Drahtwerke – wie etliche andere Unternehmen auch – Zwangs- bzw. Ostarbeiter, die in dem firmeneigenen Lager an der Marler Straße 14 untergebracht waren. Am 7. Dezember 1999 veröffentlichte das „American Jewish Committee“ auf einer Pressekonferenz in Berlin und im Internet eine Liste von Unternehmen, die während der Nazi-Zeit Zwangs- und Sklavenarbeiter/innen ausgebeutet haben. Das Papier nennt mit Namen und heutigen Adressen 257 von mehr als 2.000 Großkonzernen und mittelständischen Unternehmen, die bis dahin noch nicht dem Entschädigungsfonds der Wirtschaft beigetreten waren. Als einziges Dorstener Unternehmen werden unter der Listennummer 44 die Dorstener Drahtwerke genannt. Erst danach zahlten auch die Dorstener Drahtwerke 23.000 D-Mark in diesen mit 5 Milliarden DM angelegten Fonds ein.

Krim-Krieg 2022 – Drahtwerke boykottierten Russland

Die Hauptstadt Kiew der Ukraine ist etwas mehr als 1.600 Kilometer Luftlinie von Dorsten entfernt. Das sind zweieinhalb Stunden mit dem Flugzeug. So nah ist der Krieg, den die Russen unter Wladimir Putin im Februar 2022 angezettelt haben. Einige Dorstener Firmen bekamen die Auswirkungen unmittelbar oder mittelbar zu spüren. Seit 24. Februar 2022  gab es für die Produkte der „Dorstener Drahtwerke“ einen Lieferstopp für Russland: „Unternehmensweit sind Lieferungen nach Russland verboten“, sagt einer der Dorstener Geschäftsführer der Drahtwerke, Rüdiger Tüshaus, auf Anfrage der „Dorstener Zeitung“. Das weltweit tätige Unternehmen (DDD-Group), dem 18 Firmen in Europa, Asien, Nord- und Südamerika angehören, lieferte auch nach Russland. Seit 24. Februar 2022 wegen der Sanktionen gegen Russland allerdings nicht mehr.

Energiekrise 2022: Drahtwerke rufen Dorstens Bürgermeister um Hilfe

Volker Tüshaus, Geschäftsführer der Dorstener Drahtwerke, hat Ende August 2022 in einem offenen Brief an Dorstens Bürgermeister Tobias Stockhoff (CDU) die Energiekrise beklagt: „Auf Grundlage der aktuellen Preise für Strom und Gas wird die Existenz unserer Standorte in Dorsten und Marl ab 2023 extrem gefährdet sein.“ Ändere sich nichts an den Energiepreisen, müssten ab Januar 2023 die über 100 Mitarbeiter/innen zu 100 Prozent in Kurzarbeit gehen. Ursache sind die enorm gestiegenen Gaspreise als Folge des Ukrainekriegs. Tüshaus rechnete dem Bürgermeister vor: „Die Erhöhung der Stromkosten wird uns ab 2023 mit ca. 2,8 Millionen Euro, die der Gaskosten mit ca. 720.000 belasten. Umgerechnet pro Arbeitsplatz entspricht dies Mehrkosten von 30.000 Euro pro Jahr und Mitarbeiter/in.“ Fast 60 Prozent der in Dorsten und Marl produzierten Waren würden ins Ausland exportiert. Zum Beispiel in die USA. Dort seien die Energiekosten geringer, eine Produktion vor Ort damit günstiger. Der Geschäftsführer der Dorstener Drahtwerke bat Dorstener Bürgermeister Tobias Stockhoff: „Sichern Sie den Standort Dorsten, nehmen Sie Einfluss auf die Energiepolitik.“ – Kommentierende Anmerkung: Dorstens Bürgermeister mag wohl Einfluss nehmen können auf Taubenvereine, Schützenvereine oder die Müllabfuhr zwischen den Stadtteilen Altendorf-Ulfkotte, Östrich und Wulfen, nicht aber auf russische und europäische Energiepolitik.

Dorstener Drahtwerke brauchen Hilfe, aber „keine destruktive Debatte“

Nach dem Hilferuf der Dorstener Drahtwerke wird es wohl keine kurzfristigen Lösungen geben. Doch nicht nur die Energiekrise ist eine Gefahr für das Unternehmen. Die Dorstener Drahtwerke sehen in der aktuellen Energiekrise eine Gefahr für die Industrie im Allgemeinen und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Stahlverarbeitung im Besonderen und haben sich deshalb an die Politik gewendet. Die Geschäftsführer Volker und Rüdiger Tüshaus, der kaufmännische Leiter Ulrich Winter, sowie der Betriebsratsvorsitzende Markus Kaczmarczyk warben im Gespräch mit Bürgermeister Tobias Stockhoff und WinDor-Geschäftsführer Markus Funk für gesamtgesellschaftliche und aufeinander abgestimmte Anstrengungen aller Ebenen. „Verfügbarkeit von Gas und Strom zu bezahlbaren Preisen sind Voraussetzung für die Existenz von modernen Produktionsbetrieben und allgemeinem gesellschaftlichen Wohlstand“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Unternehmen und Stadtverwaltung. Mit einer großen Photovoltaik-Anlage können die Drahtwerke am Nachbarstandort in Marl an guten Sonnentagen 50 Prozent des eigenen Strombedarfs selber herstellen. Weitere Umstellungen und Modernisierungen haben bereits zu Energieeinsparungen geführt oder sind noch in der Umsetzung. Die Gesprächspartner waren sich einig, dass die in Teilen destruktive und von Angst und Sorgen geprägte Diskussion der Gesellschaft und dem Standort Deutschland nicht guttut, sondern Motivation und Zuversicht zerstört. Die Gedanken aus diesem Gespräch – und weiteren Gesprächen – wird Bürgermeister Stockhoff an Wirtschaftsminister Robert Habeck, die örtlichen Abgeordneten und weitere Politiker übermitteln (Quelle Energiekrise…: DZ vom 9. Sept. 2022. – Pressestelle Stadt Dorsten, Sept. 2022).

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