Sexualisierte Gewalt / „Was ich anhatte…“

Wanderausstellung: Kleidung, die Frauen bei der Vergewaltigung trugen

Was ich anhatte": Ausstellung in Ulm gegen victim blaming - SWR Aktuell

Eine außergewöhnlich Wanderausstellung mit der Bezeichnung „Was ich anhatte…“ war in den Wochen September und Oktober 2023 im Haus des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen in der Limperstraße zu sehen. Ausgestellt waren Kleidungsstücke von Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben – und nicht mehr schweigen wollen.
Franca, eigentlich heißt sie anders, ist Offizierin bei der Bundeswehr. Sie wurde 2016 auf einem Lehrgang der Bundeswehr vergewaltigt – vermutlich unter dem Einfluss von K.O.-Tropfen, wie sie schreibt. Sie habe sich an die Polizei gewandt, doch leider sei man weder dort noch bei der Bundeswehr sehr gut mit ihr umgegangen. „Auch die Frage nach meiner Kleidung war natürlich dabei. Das ‚Was hatten Sie denn an?‘ tönt mir bis heute in den Ohren, und schon damals wusste ich, dass diese Frage keinerlei Berechtigung hat.“ Franca heißt eigentlich anders. Ihre Geschichte und die Kleidung, die sie bei der Vergewaltigung trug, sind Bestandteil der Wanderausstellung „Was ich anhatte…“.

Blaue Jeans, schwarze Oberteile, Sommerkleid, geblümtes Nachthemd

Die Frauen teilen hier anonym ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. „Sie wollen nicht mehr schweigen und Opfer sein“, sagt Julia Borries von der Erwachsenenbildung im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen, „und mit ihren Berichten auch anderen Frauen Mut machen, sich zu öffnen.“ Die Texte der Frauen hängen neben den Kleidungsstücken, die sie während der sexuellen Übergriffe anhatten. Und wenn diese nicht mehr existieren, wurden sie nach den Vorgaben der Frauen originalgetreu in Second Hand Läden nachgekauft, heißt es in einer Erklärung der Ausstellungsmacherinnen um Kuratorin Beatrix Wilmes. Zu sehen sind die blaue Jeans und das schwarze Oberteil von Annika, das blaue Sommerkleid von Nina und das geblümte Nachthemd von Alina, einer dementen Großmutter, die von einem Pfleger sexuell missbraucht wurde. Die Botschaft lautet: Sexuelle Gewalt ist für Frauen aller Altersstufen alltäglich. Und eine Frau wird nicht vergewaltigt, weil sie einen Minirock trägt. „Es ist total egal, was sie anhat“, sagt Borries. Die Frage nach „aufreizender“ Kleidung gebe dem Opfer eine Mitschuld. Und mit diesem Mythos von der Mitschuld, mit dieser Täter-Opfer-Umkehr, wolle die Ausstellung aufräumen. „Für eine Frau, die so etwas erlebt, ist das Leben nie wieder wie vorher: An keinem Ort, an keinem Tag“, sagte Karin Hester (Diakonie im Kirchenkreis). Sie leitet die „Hilfen für Frauen“ und weiß, dass Vergewaltigungsopfer in dem Moment Todesängste erleiden – und anschließend eine tiefe seelische Verletzung zu verarbeiten haben. „Das große Problem ist, dass ihnen nicht geglaubt wird“, sagte Hester. Bei 100 angezeigten Vergewaltigungen käme es nur in 13 Fällen zu einer Verurteilung. Viele Verfahren würden vorzeitig eingestellt. Das habe damit zu tun, dass die Frauen vielleicht zunächst mit einer engen Freundin über die Tat sprechen würden, dann mit der Polizei, dann mit ihrer Anwältin –  „und immer wieder müssen sie ihr Gegenüber davon überzeugen, dass sie Recht haben. Das kostet wahnsinnig viel Kraft.“

Ausgangspunkt der Ausstellung war das neue Kirchengesetz

In der genauso kleinen wie berührenden Ausstellung ist auch Pfadfinder-Kleidung zu sehen. Hier geht es um Markus – und um sexuellen Kindesmissbrauch. Die Geschichte des Jungen ist der wahrscheinlich deutlichste Hinweis darauf, warum die Ausstellung im Haus des Kirchenkreises aufgebaut wurde. Seit dem Jahr 2020/21 gibt es das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Die neuen Präventionsfachkräfte Frank Knüfken (Ev. Kirchenkreis Recklinghausen) und Gitta Werring (Ev. Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten)  organisierten dazu einen Fachtag, der Ende September im Haus des Kirchenkreises stattfand. Und in diesem Zusammenhang ist die Idee entstanden, „Was ich anhatte…“ nach Recklinghausen zu holen.
„Unsere Aufgabe ist es, für eine Kultur der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit zu sorgen, damit es innerhalb unseres Systems zu keiner sexualisierten Gewalt kommt“, sagte Knüfken. „Aber wir haben auch einen gesellschaftlichen Auftrag“ – nämlich im Sinne der Prävention dazu beizutragen, dass das Thema sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit präsent ist, dass darüber gesprochen wird. Die Exponate aufzubauen, sei beklemmend gewesen, sagte Julia Borries. „Weil ein Kleidungsstück ja an sich schon etwas sehr Persönliches, Intimes ist.“ Sie weiß um die Wirkungen, die die Ausstellung auf den Besucher haben kann. Deshalb sind auch immer Expertinnen von den hiesigen Frauenberatungsstellen zum Reden vor Ort. Außerdem findet man Informationen über Hilfsangebote vor.


Quelle: Entnommen Markus Geling in DZ vom 25. Sept. 2023

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone

Kein passender Begriff gefunden.