Pornografie

1975 wurde sie legalisiert und verbreitete sich von Kinos in Wohnzimmer

Vor 50 Jahren wurde Pornografie legalisiert: Seither ist das Genre von den Kinos in die Wohnzimmer umgezogen und so in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Trotzdem spricht kaum jemand öffentlich darüber. Die Pornowissenschaftlerin Madita Oeming erklärte im Februar 2025 in den Ruhr Nachrichten (Dorstener Zeitung) die Gründe in einem Interview. Hier wiedergegeben:

Die Pornoproduzentin Paulita Pappel stellte mal die rhetorische Frage: „Wie oft sagen wir beim Essen oder im Freundeskreis: ‚Ich habe gestern Abend einen richtig tollen Porno geschaut‘?“ Jetzt stelle ich sie Ihnen. Wie oft?
Nicht so oft. Und das finde ich bedauerlich. Vorneweg: Meine Utopie ist es nicht, dass wir jederzeit und mit allen über unsere sexuellen Fantasien und Pornogewohnheiten sprechen. Ich würde mir aber wünschen, dass wir alle mindestens eine Person haben, mit der wir das teilen können­­­­­­. Durch den Austausch könnten wir uns ein bisschen den Druck nehmen.

Welchen Druck genau meinen Sie?
Sehr viele Menschen, das zeigen Befragungen immer wieder, haben ein schlechtes Gewissen, nachdem sie zu Pornos masturbiert haben, oder machen es gar nicht erst, weil sie es für moralisch verwerflich oder an sich für falsch halten.

Würden Sie trotzdem sagen, dass Porno seit der Legalisierung vor 50 Jahren wohlwollender betrachtet wird?
Jein. Natürlich gab es viele Veränderungen beim Porno, die vor allem mit dem technologischen Wandel zusammenhängen. In den Siebzigern waren Pornos in Deutschland nur in Pornokinos zugänglich. Es war ein kollektives Gucken, mit ganz vielen Hürden, auch finanziellen. Es war schambesetzt. Porno war nicht im ländlichen Raum verfügbar, viel weniger Menschen hatten Zugang. Erst mit der Erfindung des Videorekorders ist der Porno nach Hause gekommen, sprich Mitte/Ende der Achtzigerjahre. Erst da wurde Pornoschauen zu einer privaten Masturbationspraxis.

Mit dem Internet schließlich wurde Pornokonsum niederschwelliger:
Genau, und die Inhalte wurden diverser. Damit hat Porno auch eine gewisse Normalisierung erfahren. Es waren nicht mehr nur „ein paar Perverse“, die sich in diesem Genre bewegten. Pornografie ist heute Alltagsmedium. In vielen Punkten sind wir trotzdem noch immer am gleichen Punkt. Bei der individuellen Scham, aber auch, was die politische und feministische Debatte rund um Pornos betrifft. Nur weil etwas nicht mehr illegal ist, heißt es noch lange nicht, dass es sozial anerkannt ist, und auch nicht, dass wir es uns selbst erlauben.

Zum Zeitpunkt der Legalisierung gab es einen gesellschaftlichen Druck auf die Regierung, weil das Nachbarland Dänemark Pornografie schon 1969 legalisiert hatte und sich ein gewisser Sextourismus dorthin etablierte:
Ja, in dem Fall kann man wirklich sagen, dass sich die Gesetzgebung mehr oder weniger gezwungenermaßen an die Marktrealitäten angepasst hat, weil sowieso schon so viel Importware aus Dänemark im Umlauf war, obwohl es offiziell noch gegen das Gesetz war.

War die vermeintliche „Nichtverfügbarkeit“, mal abgesehen von Schmuggelware, ein Grund, warum Pornografie in der damaligen DDR erst nach der Wende offiziell verfügbar war? Bis dahin war zwar nicht der Besitz, aber die Verbreitung durch den Pornografie-Paragrafen 125 verboten:
Ich würde mutmaßen, dass das eher an sozialistischen Idealen lag. Und einer gewissen Gegenwehr zu amerikanisch-kapitalistischer Logik. Dort wurde Pornografie 1969 legalisiert. Aus DDR-Sicht galten Pornos als dekadent und unvereinbar mit einer sozialistischen Lebensweise. Der Paragraf 125 war ja mit der neuen Verfassung gerade erst frisch verabschiedet. Es gab trotzdem großes Interesse unter der Bevölkerung, demnach viel Schmuggelware und eine lebhafte Privatpornoszene.

Das Internet macht Pornografie heute überwiegend kostenlos verfügbar. Hat dieser Umstand zur Enttabuisierung beigetragen – oder möglicherweise gar zu mehr Stigmatisierung?
Es gibt da ganz viele Gleichzeitigkeiten. Das Internet hat Pornos einerseits durch die Verfügbarkeit normalisiert, auch durch Plattformen wie Only Fans, die in Mainstreammedien auftauchten, in Popkultur übergehen und relativ breit diskutiert werden. Gleichzeitig gibt es große Widerstände dagegen. Historisch betrachtet war jeder Sichtbarkeitsschub von Pornografie mit gesteigertem Widerstand verbunden – durch feministische oder konservative christliche bis rechte Gegenbewegungen. Die Sorge um Jugendliche und ihren Kontakt zu pornografischen Inhalten ist auch etwas, das immer wieder neu hochkommt.

Durch die leichte Verfügbarkeit im Internet wirkt das Gesetz aus dem Jahr 1975, das Pornografie für Erwachsene legalisiert und für Minderjährige explizit verbietet, regelrecht aus der Zeit gefallen:
Das Gesetz ergab Sinn, als Pornos in Pornokinos gezeigt wurden, und auch noch, als sie in der Videothek ausgeliehen werden mussten, weil sie ein physisches Gut waren. Aber in dem Moment, in dem Pornos zu einer digitalen Ware geworden sind, greift dieser Jugendschutz nicht mehr effektiv. Das hätte man schon vor 20 Jahren einsehen müssen, dass auch Kinder einfach ihren Weg zu Pornos finden, dass wir sie nicht mit dem Gesetz davor schützen können, sondern stattdessen auf Bildung und Aufklärung setzen müssen.

Welche Rolle könnten die Schulen bei der Aufklärung spielen?
Die Bedeutung von Medienkompetenz ist mittlerweile im Schulsystem angekommen, wenn auch noch nicht flächendeckend etabliert. Sie müsste dringend um die sexuelle Medienkompetenz erweitert werden. Da geht es nicht nur um Pornos, sondern auch um erste Sexting-Erfahrungen, um sexuelle Grenzverletzungen im Internet, die man zum Beispiel durch Fremde erfahren kann, aber auch durch Gleichaltrige etwa im Klassenchat. Stattdessen werden entweder konsequent die Scheuklappen aufgesetzt, weil wir denken, mein Kind macht so etwas nicht, oder es wird mit Panikmache und Verboten gearbeitet. Aber das funktioniert einfach nicht.

Wie könnte ein sicherer Umgang mit Porno aussehen?
Das Grundproblem ist, wir vermitteln Kindern und Jugendlichen einfach keine umfassende sexuelle Bildung. Dadurch drängen wir Pornos in die Rolle, diese Aufgabe zu übernehmen. Aber dafür sind sie nicht gemacht. Sie sind ein Unterhaltungsmedium und keine Aufklärungsfilme. Dass Jugendliche keinen anderen Ort haben, wo sie ihre Fragen loswerden und praktische Informationen bekommen können, das ist das eigentliche Problem. An dem wird nicht gearbeitet.

In Ihrem Buch „Porno – eine unverschämte Analyse“ räumen Sie mit gängigen Klischees auf. Etwa damit, dass Geschlechtsteile übertrieben idealisiert dargestellt und Frauen beim Sex immer nur unterdrückt würden:
Für alle Medien gilt, dass sie gängige Schönheitsideale reproduzieren. Auch im Porno sind weiße, schlanke Körper weiter verbreitet als andere. Allerdings ist in Pornos sehr viel mehr Vielfalt zu finden, als das auf Netflix oder in Hollywood der Fall ist, geschweige denn in der Werbung. Was dort an Körperbildern, Schönheitsidealen und auch Geschlechterrollen vermittelt wird, finde ich oft deutlich problematischer. Wir schauen nur weniger kritisch hin. Bei Pornos hingegen übersehen wir Potenziale. Es gibt zum Beispiel Studien, die nahelegen, dass Pornos zur Selbstakzeptanz der eigenen Vulva beitragen können. Trotzdem hält sich der feministische Mythos hartnäckig, dass Pornos nur immergleiche, idealtypische Vulven zeigen und deshalb für Vulvascham verantwortlich wären. In Wirklichkeit ist es der einzige Ort, wo eine Vielfalt an Vulven als begehrenswert inszeniert wird.

Was sagt der Porno über uns als Gesellschaft aus?
Pornos sind ein Spiegel der Gesellschaft. All die Sexismen und Rassismen, die zu unserer Gesellschaft gehören, finden wir auch da. Es gibt aber auch Brüche damit, und die werden gerne übersehen. Dass Frauen in Pornos ungezügelt sexuell sein dürfen zum Beispiel. Dass wir das so problematisieren, ist eigentlich am aussagekräftigsten über uns als Gesellschaft. Da zeigt sich, dass unser Blick auf Pornos teils sexistischer ist als der Porno selbst.

Aber in Pornos dominieren schon meistens die Männer, oder?
Die Pornoplattform Pornhub, die von Millionen Menschen genutzt wird, hat gerade ihren Jahresbericht rausgebracht, der natürlich keine repräsentative Studie, aber trotzdem aussagekräftig ist. Demnach ist die beliebteste Kategorie Milf, also Mothers I like to fuck. Da geht es aber nicht um Mutterfiguren, sondern um die sexuelle Erfahrenheit von Frauen, die in Heteropornos meistens jüngere Männer verführen. Häufig sind sie als Chefin, Vermieterin, Ärztin, also als Autoritätsperson inszeniert. Dass das das beliebteste Genre ist bei einem durch Heteromänner dominierten Publikum, zeigt schon mal, dass die Vorurteile nicht ganz zutreffen.

Zumal die Kategorie nicht zum ersten Mal unter den Top 5 landete:
Sonst führte immer Lesbian das Ranking an. Ein Genre, in dem gar keine Männer vorkommen. Lesbischer Mainstream-Porno zeichnet sich oft durch mehr Zärtlichkeit, mehr Vulvastimulation aus, ist nicht so ­pe­ne­tra­tions­zen­triert. Deswegen sagen auch viele Frauen, dass sie gerne lesbischen Porno gucken. Seit ungefähr einem Jahrzehnt ist das eine der beliebtesten Kategorien, ähnlich wie Milf.

In Social Media sieht man Sie mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Pay for your porn“. Warum ist Ihnen diese Message so wichtig?
Weil sie uns als Konsumierende in die Verantwortung nimmt. Es geht oft um die böse Pornoindustrie und die unvernünftigen Jugendlichen. Alle sind schuld, nur nicht wir, die auf die Pornoseiten gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Inhalte sehe, die einvernehmlich gefilmt und einvernehmlich veröffentlicht wurden, steigt massiv, wenn das Bezahlinhalte sind. Und wenn ich für etwas bezahle, dann wirkt sich das auf mein Konsumverhalten aus, indem ich mich frage: „Auf welcher Seite gebe ich meine Kreditkartendaten preis? Ist erkennbar, wer für die Inhalte verantwortlich ist?“ Auf Bezahlplattformen haben wir in aller Regel viel mehr Transparenz.

Zumal eine kostenlose Verfügbarkeit suggeriert, dass das Gesehene nichts wert ist:
Genau, da gibt es eine Doppelmoral, wenn Leute sagen: „Ich will ethisch produzierte Pornos, aber ich bin nicht bereit, dafür zu bezahlen.“ Wir haben eine Konsummacht. Problematische Seiten sind deswegen erfolgreich, weil Menschen sie nutzen.

Rückblickend hat die Legalisierung von Pornografie also zu Entstigmatisierung beigetragen, aber auch neue Probleme geschaffen?
Die Legalisierung war ein erster Schritt. Es sind aber noch ganz viele Schritte notwendig, um bei einer wirklichen Entstigmatisierung und einer vollständigen Entkriminalisierung von Pornografie anzukommen. Pornos sind, im Vergleich zu anderen Medien, immer noch im Strafgesetzbuch geführt. Der Paragraf 184 wird von vielen als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Da gibt es noch viel historischen Ballast bei unserem juristischen Umgang mit Pornografie. Dazu gehört auch der Begriff der Kinderpornografie. Der wird von vielen Seiten kritisiert, auch von mir. Der muss weg. Diese Vermischung von Gewalt und einvernehmlicher erwachsener Medienpraxis ist problematisch und verharmlosend. Wir vermitteln Kindern und Jugendlichen einfach keine umfassende sexuelle Bildung. Dadurch drängen wir Pornos in die Rolle, diese Aufgabe zu übernehmen. Aber dafür sind sie nicht gemacht.


Quelle: Carolin Burchardt in RN (DZ) vom 2. Februar 2025

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