Nachkriegsgeschichte

Kampfflugzeug war 44 Jahre lang in der Erde Sarg des Piloten

Der Kampfmittelräumdienst des Regierungspräsidenten Münster hatte schon lange den Hinweis auf ein 1944 von Alliierten abgeschossenes Kampfflugzeug der deutschen Luftwaffe über Dorsten. Im Oktober rückten die Männer des Regierungspräsidenten an, um es aus dem sandigen Boden einer Wiese an der Hervester Straße herauszuholen. Sie mussten nicht tief graben. Da nicht bekannt war, ob sich die Überreste des Piloten noch in der Maschine befanden, gingen die Männer des Kampfmittelräumdienstes mit der gebotenen Pietät vor, schirmten die Grabungsstelle mit Tüchern gegen fremde Blicke ab. Schließlich entdeckten sie das Skelett des Piloten auf dem Führersitz in der Flugzeuggondel, eingehüllt in seine Kampfmontur. Es sah gespenstisch aus: Seine Knochen steckten in Stiefeln, Hose, Lederjacke und sein Totenschädel in einer Lederkappe. Neben ihm lag die Einsatzkarte. Auch für die erfahrenen Männer des Kampfmittelräumdienstes war der Erhaltungsgrad all dessen, was sie in der engen Kabine vorfanden, bestens erhalten. Denn es fand in dem abgeschossenen Flugzeug lediglich eine Verpuffung statt, also keine Explosion und kein Brand. Das zu Boden trudelnde Flugzeug rammte sich tief in den sandigen Heideboden der Hervester Wiese ein. Somit gab es auch keinen großen Crash. Propeller und andere Teile des Flugzeugs waren zwar verbogen, aber bestens erhalten.

Die Uhr des Piloten

Neben der Einsatzkarte und dem Portemonnaie des Piloten wurde auch seine Uhr gefunden; Foto: Holger Steffe

Im Portemonnaie waren Geldscheine und Münzen noch erhalten

So weit die Situation im Oktober 1989, wie sie von dem Redakteur der „Ruhr-Nachrichten“ (heute „Dorstener Zeitung“), Wolf Stegemann, vor Ort gesehen wurde. Hier sein weiterer Bericht:

„Die Männer des Kampfmittelräumdienstes gaben vor Ort und in Münster keine Auskunft über das Flugzeug und den Toten. Denn die Angehörigen sollten verständlicherweise nicht aus der Zeitung erfahren, dass der Vermisste gefunden wurde. Alle Informationen über den Toten und das Flugzeug mussten zuerst an die Deutsche Dienststelle nach Berlin gemeldet werden, die alle Personalakten von ehemaligen Wehrmachstangehörigen aufbewahrt, und die Toten anhand des Erkennungszeichens identifiziert und dann die Angehörigen benachrichtigt. Allerdings sind Journalisten oft ungeduldig und bestrebt, möglichst schnell ihre Leser zu informieren. Daher entsann ich mich eines Bekannten beim Regierungspräsidenten.

Schon eine Stunde später bekam ich seine Informationen: Bei dem am 5. Dezember 1944 abgeschossenen Flugzeug Bf 109 G-14 (Verlustmeldung vom 13. Dezember 1944 ,durch Feindbeschuss an unbekanntem Ort’) handelt es sich um die Maschine des Jagdpiloten und Oberfähnrichs Herbert Reiner aus Stuttgart. Der am 28. Februar 1925 geborene Flugzeugführer gehörte dem Jagdgeschwader 27 (Gruppe I) an, das zuletzt in Rheine stationiert gewesen war. Der Pilot galt als vermisst und wurde 1980 vom Amtsgericht Stuttgart für tot erklärt.

Was besonders anrührte, war, dass das, was der Pilot mit sich führte, noch völlig erhalten war. Darunter die Einsatzkarte mit seinem Namen und seinen Eintragungen über Einsätze und seinen letzten Kampfeinsatz über Dorsten, persönliche Gegenstände wie Brieftasche und Portemonnaie, in dem sich noch Fotos und zwei erhaltene Geldscheine sowie einige Münzen befanden. Durch die Verpuffung beim Absturz wurde nichts zerstört, lediglich die Einsatzkarte wies blau verfärbte Ränder auf. Und alles stank furchtbar nach Flugbenzin. Mit den Informationen über den Toten, die ich noch während der Ausgrabung bekommen hatte, machte ich in Zusammenarbeit mit den „Stuttgarter Nachrichten“ den Bruder des abgeschossenen Piloten ausfindig, Wilhelm Reiner. Dieser reagierte mit großer Betroffenheit und Verblüffung auf die telefonische Nachricht, dass sein Bruder in Dorsten gefunden wurde. Denn noch drei Monate zuvor hatte er beim Suchdienst des Roten Kreuzes nachgefragt und die Auskunft erhalten, er solle sich keine Hoffnungen mehr machen über das Auffinden seines vermissten Bruders. Tage später wurden die sterblichen Überreste des Piloten von Holsterhausen aus nach Stuttgart überführt.“

Während das Flugzeug an der Hervester Straße ausgegraben wurde, kamen viele Nachbarn hinzu. „Als Kinder waren wir ganz scharf auf Maschinenteile von abgeschossenen Flugzeugen“, erinnerte sich einer von ihnen, der auch mal ein Maschinengewehr ausgebaut hatte. Überhaupt, meinte er, waren alle Jungs zur Stelle, wenn irgendwo im Stadtgebiet ein Flugzeug abgeschossen wurde. Und etliche erinnerten sich, wo sonst noch Flugzeuge, darunter eine B 52 (so genannte „Fliegende Festung“ der Amerikaner) in Hervest abgestürzt waren und in der lockeren Erde des sandigen Bodens verschwunden sind (siehe  Bombardierung 1945; siehe Bombardierung eines Soldatenzuges 1945; siehe Dorsten unterm Hakenkreuz; siehe Flakstellungen; sieh Standort Dorsten; siehe Munitionszerlegungsbetrieb Hünxe, siehe Kampfmittelräumdienst).


Literatur:
Ludger Tewes „Jugend im Krieg. Von Luftwaffenhelfern und Soldaten 1939-1945“, Essen 1989. – Wolf Stegemann „Dorsten unterm Hakenkreuz“, Bd. 3, Dorsten 1985. – Willi Muss „Der große Kessel. Eine Dokumentation über das Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Lippe und Ruhr, Sieg und Lenne“, Lippstadt 1984. – Werner Andrejewski in „Holsterhausener Geschichten“, Bd. 3, 2006. – Wolf Stegemann „Holsterhausen unterm Hakenkreuz“, Band 1 (2007) und Band 2 (2009). – Auch veröffentlicht in www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de

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