Das Frauenhaus warnt: Immer mehr Frauen sind Opfer brutaler Gewalt
Die Gewalt gegenüber Frauen hat zugenommen. Die meisten Frauen, die Zuflucht im Dorstener Frauenhaus suchen, haben versuchte Tötungsdelikte hinter sich. – Jeden Tag müssen sie Nein sagen. Trotz des dringenden Bedarfs, trotz des Wunsches zu helfen – die Plätze im Frauen- und Kinderschutzhaus Dorsten sind immer wieder voll. In diesem Zufluchtsort für Frauen und Kinder in Not, geht es um mehr als nur Unterkunft. Es ist der letzte Anker in einer Welt, die für viele von Gewalt und Missbrauch geprägt ist. Dass der Bedarf an Schutzräumen für Frauen steigt, zeigt auch eine neue Studie des Bundeskriminalamts: Die Gewalt gegenüber Frauen hat zugenommen, so die jüngsten Ergebnisse. „Frauen werden häufiger Opfer von häuslicher Gewalt, sie werden im Vergleich zu Männern fast sechsmal öfter Opfer von Sexualstraftaten und auch im digitalen Raum sind über die Hälfte der Opfer weiblich“, teilt auch das Bundesinnenministerium mit.
Häufig versuchte Tötungsdelikte
Die Gewalt gegen Frauen hat sich in den letzten Jahren verändert, meinen auch Lina Kania und Nadine Kötters vom Frauenhaus Dorsten. „Sie ist wesentlich härter geworden oder zumindest wenden sich viele Frauen an uns, die von massiver Gewalterfahrung sprechen“, erklärten die Sozialarbeiterinnen. Seit 1983 bietet das Frauenhaus unbürokratisch Zuflucht, Beratung und Hilfe für Frauen und ihre Kinder an, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind. „Wenn man an häusliche Gewalt denkt, denkt man häufig an die Backpfeife, an eine handfeste Auseinandersetzung, an Streit. Aber die meisten Frauen, die zu uns kommen, haben wirklich versuchte Tötungsdelikte hinter sich“, erklärt Kania. Die Schwere der Gewalt habe daher deutlich zugenommen. Alle vier Minuten erfährt eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Statistisch gesehen wurde bundesweit 2023 jeden Tag eine Frau getötet. „Dass die Gewalt härter geworden ist, sieht man ja tatsächlich auch daran, dass im Jahr davor davon gesprochen wurde, dass jeden dritten Tag eine Frau ermordet wird“, verdeutlicht Kania.
Ehemänner oder Partner versuchen, ihre Frauen zu erpressen
Die Frauen, die Zuflucht im Dorstener Frauenhaus finden, haben vor ihrer Flucht teilweise bereits Jahrzehnte lang in gewaltvollen Beziehungen gelebt. Dabei reicht die Form der Gewalt von Vergewaltigungen, über digitale Gewalt bis zu versuchtem oder vollendetem Mord. „Wenn du nicht mit mir schläfst, gebe ich dir kein Geld, dann kannst du den Kindern nichts zu essen kaufen, dann bekommen die Kinder keine neuen Winterschuhe“, sind Beispiele, wie Ehemänner oder Partner versuchen, ihre Frauen zu erpressen.
Fremdbestimmt und ferngesteuert
Frauen seien häufig sehr eingeschüchtert. Sie erzählen den Sozialarbeiterinnen im Frauenhaus zum Beispiel: „Wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegt haben und mein Mann hat mir einen bestimmten Blick zugeworfen, dann hat mein ganzer Körper gezittert, dann hatte ich so viel Angst und dann wusste ich, wenn ich nach Hause komme, dann wird es richtig, richtig knapp.“ Diese Frauen können nicht mehr selbstbestimmt handeln. „Sie sind fremdbestimmt und ferngesteuert“, erklärt Nadine Kötters. Dabei fällt es den Frauen besonders schwer, sich von den Beziehungen zu lösen. Wenn sie ins Frauenhaus gehen, lassen sie ihr komplettes Leben hinter sich. Sie müssen ihren Wohnort, ihr Zuhause und ihr Umfeld verlassen.
Schlüsselmomente als Auslöser
„Es ist nicht so, dass man sich nicht mehr gegenseitig liebt oder dass man sich auseinandergelebt hat, sondern das ist ein ganz klares Machtverhältnis“, erklärt Lina Kania die Situation der Frauen. Häufig drohen die Männer ihnen zusätzlich: „Wenn du dich von mir trennst, dann nehme ich dir die Kinder weg, dann mache ich dich fertig, du wirst in deinem Leben nicht mehr froh werden“, so Kania. Die Frauen, die schon vorher so viel Gewalt und Unterdrückung erlebt haben, glauben dann, dass diese Androhungen wahr werden, erläutern die Expertinnen. Meistens seien es dann Schlüsselmomente, die die Frauen erkennen lassen, dass sie nicht mehr in ihrem Umfeld leben können. In einem Fall habe eine Frau erst den Ernst der Lage realisiert, als ihre fünfjährige Tochter zu ihr kam und gesagt hat: „Wir müssen jetzt gehen. Wir können nicht mehr mit Papa zusammenleben.“ Doch es sind nicht immer nur die Ehemänner oder Partner. „Der größte Prozentteil ist der Partner, der Ehemann oder der Partner. Aber es kann die Mutter sein, die Schwiegermutter“, erklärt Nadine Kötters. „Es können aber auch Kinder sein, die Gewalt gegen Eltern ausüben. Gerade zum Beispiel auch, wenn Eltern auch älter werden.“
Tag gegen Gewalt an Frauen und Kindern
Das Frauenhaus finanziert sich durch einen Zuschuss vom Land, durch Mieteinnahmen der Bewohnerinnen und Spenden. Hinter ihnen steht der Verein Frauen helfen Frauen e.V. Dorsten. „Es gibt keine Komplettfinanzierung für Frauenhäuser“, erklärt Kötters. „Eigentlich sollte jede Frau das Recht und die Möglichkeit haben, unbürokratisch Zugang zu einer Schutzeinrichtung zu bekommen“, sind sich die Sozialarbeiterinnen einig. Doch das ist nicht so einfach: „Es fehlen mindestens 14.000 Plätze“, erklären sie. Am 25. November 2024 war der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Das Frauenhaus Dorsten hatte deshalb zu einem ökumenischen Gottesdienst in das Franziskanerkloster eingeladen, bei dem das Thema Gewalt gegen Frauen Schwerpunkt des Gottesdienstes war.
Quelle: DZ vom 25. November 2024