Drittes Geschlecht

Weder Mann noch Frau – was bleibt? Das dritte Geschlecht: „divers“

Demonstration für das dritte Geschlecht (nicht Dorsten)

Der Geschlechtseintrag „divers“ (lat. diversus „ungleichartig, verschieden“) bildet in Deutschland eine dritte Geschlechtsoption neben weiblich und männlich, die sich auf ein drittes Geschlecht oder allgemeiner auch auf eine nichtbinäre Geschlechtsidentität beziehen kann. Schon lange ist bekannt, dass Menschen nicht mehr nur entweder weiblich oder männlich sein können. In Deutschland gibt es über 750.000 intersexuelle und transidente Menschen. Männer und Frauen für sich sind Teil eines zweigeschlechtlichen oder binären Geschlechtsmodells. Personen, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, nennt man „nicht binäre Menschen“. Oder kurz: Nicht- oder Non-Binäre. Dazu zählt sich ein Teil der intersexuellen und transidenten Personen, deren Anzahl sich auf etwa 200.000 beläuft. Die übrigen sind Frauen oder Männer. Die Diskussion um die Akzeptanz von Nicht-Binären wird immer konkreter. Aktuell gibt es in Deutschland Gesetzesvorlagen, nach denen ab dem 1. Januar 2019 konsequent das dritte Geschlecht als Geschlechtseintrag verwendet werden muss.

Recklinghausen änderte in Gebäuden bereits die Toilettenschilder

Die Einführung eines dritten Geschlechts wirkt sich auf viele Bereiche aus. Dazu gehört eine korrekte Anrede in Briefen und Reden. In Stellenanzeigen, Formularen und Personendatenbanken, on Mailings, auf Toilettenschildern und… und… und…! Die Stadt Recklinghausen machte schon 2019 Informations- und Hinweisschilder „diversgerecht“. Daher gibt es dort in städtischen Einrichtungen Toiletten sowie Dusch- und Umkleidemöglichkeiten nicht nur für Männer und Frauen, sondern auch für das dritte Geschlecht. Damit setzte die Stadt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um und folgt außerdem einem Antrag der Grünen. Diese forderten angemessene Lösungen für alle, „die sich nicht als Mann oder Frau definieren“. Geändert wurde in einem ersten Schritt vor allem die Beschilderung zum Beispiel an Toiletten. So würden Einzelkabinen künftig als „Unisex-Toiletten“ gekennzeichnet. Dies sei wegen der Arbeitsstättenverordnung allerdings nicht in Mitarbeiterbereichen möglich. Bei den bisherigen getrennten Männer- und Frauentoiletten entfällt der Hinweis auf das jeweilige Geschlecht. Es heißt jetzt „WC ohne Urinal“ oder „WC mit Urinal“. Bei den Umkleiden in den städtischen Bädern blieben Frauen- und Männerumkleiden erhalten. Zusätzlich wurden bestehende Einzelkabinen auch hier als Unisex-Umkleiden gekennzeichnet. Was das Duschen angeht, so gibt es in Sporthallen und Bädern abgetrennte Kabinen in den bestehenden Bereichen, um auch hier dem dritten Geschlecht gerecht zu werden. Bei Neu- und Umbauten werden sogenannte „Unisex-Bereiche“ in Zukunft von vornherein eingeplant. In einem Fall gibt es Unisex-Toiletten schon lange, nämlich bei Anlagen für Menschen mit Behinderung.

Im Juli 2019 waren in NRW erst 27 Personen als „divers“ gemeldet

Intersexuelle machen in Nordrhein-Westfalen bislang erst zaghaft von der neuen Möglichkeit Gebrauch, ihre Geschlechtsangabe bei den Standesämtern in „divers“ ändern zu lassen. Seit Jahresbeginn 2019 wollten nur 27 Personen ihre Geschlechtsangabe umtragen lassen. Das geht aus einer aktuellen Auflistung des NRW-Innenministeriums vom Juli 2019 hervor. Bis Mitte Juni 2019 gaben landesweit 16 Personen Erklärungen ab, um ihre Geschlechtsangabe von „weiblich“ auf „divers“ umtragen zu lassen sowie elf weitere von „männlich“ auf „divers“. Zur Änderung des Eintrags muss ein ärztliches Attest vorgelegt werden, aus dem hervorgeht, dass die Person wegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Insgesamt hätten 80 der 397 Standesämter in NRW mit Änderungen von Geschlechtsangaben zu tun gehabt. Dorsten war bislang nicht dabei. Bei intersexuellen Menschen sind die Geschlechtsmerkmale, also etwa Chromosomen, Hormone und Genitalien, nicht eindeutig ausgeprägt. Die Schätzungen zu ihrer Zahl gehen stark auseinander. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich 2017 in seinem Beschluss zum Thema auf eine Quelle gestützt, der zufolge es circa 160.000 Intersexuelle in Deutschland geben könnte. Die ARD berichtete am 9. Mai 2019 auf Basis einer parlamentarischen Anfrage, dass 69 Personen als „divers“ eingetragen wurden, davon 3 zur Geburt. Vornamensänderungen erfolgten 355-mal und 250 Personenstandsänderungen wurden von „männlich“ zu „weiblich“ und umgekehrt vermeldet.

Blick in die Geschichte: Es gab bereits 1794 einen „Zwitterparagraphen“

Eine Unterscheidung in drei Geschlechter gab es übrigens in Preußen schon 1794 bis 1875 – da gab es Männer, Frauen – und „Zwitter“. In Preußen und seinen Provinzen befasste sich das Recht bereits im 18. Jahrhundert mit dem dritten Geschlecht. Das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten“ (ALR) war eine Kodifikation des Straf- und des Zivilrechts aus dem Jahr 1794. Es ersetzte das subsidiär geltende römische und/oder Landrecht, soweit es keine regionalen Rechtsquellen gab. In der Praxis bedeutete das vor allem, dass in ländlichen Gebieten, auch nach 1820 in der westfälischen und rheinischen Provinz Preußens, nun das ALR galt, wo bisher das römische Recht oder der Sachsenspiegel gegolten hatten. Das ALR wurde nach der Reichsgründung von 1870/71 seinerseits vom Bürgerlichen Gesetzbuch abgelöst, das zum 1. Januar 1900 in Kraft trat. Für die Geschichte der Zwischengeschlechtlichkeit ist u. a. der sogenannte „Zwitterparagraph“ einschlägig, der die Rechtsstellung von Zwittern regelt. Es handelt sich um folgende Paragraphen des ersten Titels des ersten Teils des ALR:

„[Rechte] der Zwitter: § 19) Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen. § 20) Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle. §. 21) Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt. § 22) Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen. § 23) Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern.“


Quellen: Wikipedia-Eintrag (Aufruf Divers, 2020). – dpa-Meldung vom 28. Juli 2019. – RN  vom 22. Nov. 2018. – WDR 5 Quarks, Topthemen aus der Wissenschaft, 13. Dez. 2018. – ALR, opinioiuris.de/quelle/1622.

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